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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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Františeks.
    Josef stand da, er schaute an seinem Gegner vorbei und schien ihn gar nicht wahrzunehmen. František fing an, breitbeinig um ihn herumzutänzeln. Von den Zuschauern kamen auffordernde Zurufe, und der Herr im violetten Anzug mit dem Spitzenkragen feuerte seinen Helden an: »Los, František, zeig dem Juden, was in einem richtigen Tschechen steckt.«
    Der Koloss stürzte auf Josef zu, doch dieser wich ihm immer wieder stolpernd und ungeschickt aus. Je angriffslustiger sein Gegner wurde, je schneller und herausfordernder, umso tölpelhafter verhielt sich Josef. Seine Schritte, mal zur einen Seite, mal zur anderen, sahen so ungeschickt und stümperhaft aus, dass die Zuschauer laut lachten.
    S ie lachten Josef aus, sie schlugen sich auf die Schenkel vor Lachen, und die Wetten auf František stiegen, kein Ein ziger wollte mehr auf Josef setzen. Mir tat das Herz weh, als ich hörte, wie sie sich über ihn lustig machten. Er war ihr Opfer, genau wie ich damals das Opfer der christlichen Jungen gewesen war. Dabei wusste ich genau, dass Josef stärker war als František, stärker als irgendein Mensch. Aber er war nicht zum Kämpfen geschaffen worden, sondern zum Schutz von Juden, und hier gab es keinen Juden, den er beschützen musste, allein deshalb konnte es nicht gut gehen.
    Ich schloss die Augen, und da war sie wieder, die Wahrsagerin vom Markt, ich sah ihre dunklen Augen und hörte ihre Stimme: Dein Mut und deine Geduld werden dir helfen, Angst und Gefahren zu überwinden, und die Nacht wird dich nicht schrecken.
    Ich überlegte gerade, ob ich aufstehen und mich zwischen die beiden stellen sollte, um Josef damit einen Grund zum Zuschlagen zu geben, da spürte ich, wie der Rabbi, als habe er meine Gedanken erraten, seine Hand auf meine legte und mich fester in den Sessel drückte. Also blieb ich sitzen.
    F rantišek war viel schneller als Josef, deshalb gelang es ihm immer wieder, ihn mit seinen Fäusten zu treffen, doch Josef schienen die Schläge nicht zu stören, er wischte sie jedes Mal weg, wie man lästige Fliegen wegwischt.
    »So ein Feigling«, sagte eine Dame, die nicht weit vom Kaiser entfernt saß, »das ist doch kein Kampf! Warum schlägt er denn nicht zurück?« Alle tuschelten und auch der Kaiser sah enttäuscht aus. Nur der Rabbi machte ein zufriedenes Gesicht, während František immer verzweifelter auf Josef einschlug, der sich jedoch nichts aus den Treffern zu machen schien. »Genug, František, es reicht, wirf ihn endlich zu Boden«, rief einer der Herren.
    František schlang die Arme um Josef, diese mächtigen Arme mit den dicken Muskeln, doch Josef löste sie von seinem Körper, als wären es Kinderärmchen oder Spinnenbeine, und schob seinen Gegner von sich weg. František warf einen verzweifelten Blick zum Kaiser hinüber, dann senkte er den breiten Schädel, nahm Anlauf, rannte auf Josef los und rammte ihm den Kopf in den Bauch. Doch der Stoß, der eine Eiche entwurzelt hätte, brachte Josef nur leicht ins Wanken. Er packte seinen Gegner unter den Armen, hob ihn hoch, wie man vielleicht ein unartiges Kind hochhebt, um es zu entfernen, schwenkte ihn über seinem Kopf durch die Luft, trug ihn quer durch den Saal und legte ihn dem Kaiser vor die Füße, als biete er ihm ein Geschenk an. Alle Anwesenden klatschten höflich zwei-, dreimal in die Hände und ließen sie sofort wieder sinken. Nur der Herr in Blau mit der weißen Perücke und ein anderer, in einem grünen Samtanzug mit einem gefältelten Kragen, die beide auf Josef gesetzt hatten, sahen zufrieden aus.
    František zappelte mit seinen Gliedmaßen wie ein auf den Rücken gefallener Käfer, und es dauerte eine Weile, bis er sich hochgerappelt hatte.
    Der Kaiser, sichtlich enttäuscht von seinem Helden, machte ein finsteres Gesicht. Er hob die Hand, die beiden Diener eilten herbei und führten den Koloss aus dem Raum. Er war geknickt, das sah man ihm an, und er schüttelte immer wieder den Kopf, als könne er das, was ihm geschehen war, nicht fassen.
    Der Kaiser schaute ihm nach, bis er verschwunden war, dann wandte er sich an den Rabbi. »Rabbi Löw, das war kein Kampf, der uns Kurzweil gebracht hätte. Wir denken, Ihr seid uns eine Entschädigung schuldig.« Bei diesen Worten machte er eine Handbewegung, die sein Gefolge und seine Gäste einschloss. »So eine Blöße kann sich der Kaiser Böhmens nicht erlauben, er kann nicht zulassen, dass ein tumber jüdischer Fleischberg den stärksten kaiserlichen Kämpfer wie einen dummen

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