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Golem stiller Bruder

Golem stiller Bruder

Titel: Golem stiller Bruder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Pressler
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Glück und ein langes Leben.«
    Erst als sie in der Kutsche saßen, die sie in die Judenstadt zurückbrachte, wischte sich der Rabbi eine Träne ab. Dann nahm er Jankels Hand und sagte: »Wir sind frei, so frei, wie wir es noch nie waren. Lass uns dem Herrn danken, dass er uns diesen Tag erleben ließ.«
    Jankel beugte sich vor und küsste die Hand seines Onkels.

17. Kapitel
Der Mönch Thaddäus
    S eit Menschengedenken war unter den Juden die Angst vor der Blutschuld allgegenwärtig gewesen, seit Menschengedenken fürchteten sie nichts so sehr wie die falsche Anschuldigung, sie würden Christen ermorden, weil sie das Blut für rituelle Zwecke brauchten. Nun war diese Angst von ihnen genommen.
    Es war ein trüber, regnerischer Tag, als das kaiserliche Dekret öffentlich verkündet wurde, doch die Menschen in der Judenstadt liefen mit leuchtenden Gesichtern herum. Sie versammelten sich zu einem Dankgottesdienst in der Altneuschul und beteten für den gnädigen Kaiser, der sie von der uralten Angst befreit hatte, vor einer Bedrohung, die bei jedem schiefen Blick, bei jedem abfälligen Wort ihre scharf gewetzten Krallen nach ihnen ausgestreckt hatte, bereit, im nächsten Moment zuzuschlagen. Und die Freude, die sie erfüllte, wuchs weiter, als Reb Meisl verkündete, er wolle zum Dank für seine Errettung ein neues Spital für die Armen und Waisen bauen lassen, von denen es in der Judenstadt mehr als genug gab. Außerdem versprach er, zwanzig mittellose jüdische Mädchen mit einer angemessenen Mitgift auszustatten, um ihnen eine Heirat zu ermöglichen.
    Später, als Jankel die Synagoge verließ, sah er draußen auf der Gasse arme Juden zusammenstehen und eifrig miteinander reden. Vielleicht waren es ja Väter, die ihre Töchter noch nicht hatten verheiraten können, weil sie die Mitgift nicht aufbrachten, und nun, da es eine Hoffnung für sie gab, eine möglicherweise schon lange geplante und immer wieder verschobene Hochzeit verwirklichen wollten. Ihre Stimmen jedenfalls klangen heiter. Jankel hatte, seit er in der Judenstadt lebte, noch nie so viele glückliche Menschen gesehen.
    Selbst Anschel sah vergnügt aus, als er am Tag darauf Jankel und Schmulik half, den Karren mit Brotlaiben, Fladen und Kinderkringeln zu beladen. Seine sonst so missmutig gesenkten Mundwinkel hatten sich gehoben, seine Wangen schienen voller zu sein, seine Augen heller. Er sah auf einmal viel jünger aus als zuvor. »Vielleicht sollten wir vor dem Backen ein paar Sonnenblumenkerne auf die Kinderkringel streuen«, sagte er, »oder Kürbiskerne oder Mohnsamen. Es könnte sein, dass sie sich dann noch viel besser verkaufen.«
    Jankel sah ihn erstaunt an und Schmulik klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. »Eine großartige Idee, Anschel, beim nächsten Mal werden wir es probieren. Ich bin sicher, dass Mendel damit einverstanden ist.«
    »Warum sollte er nicht einverstanden sein, er ist doch mit allem einverstanden, wenn es etwas zu verdienen gibt«, sagte Anschel, sein Gesicht verzog sich und aus seinem Mund kam ein helles, meckerndes Geräusch, und Jankel fiel auf, dass er ihn zum ersten Mal hatte lachen hören, wirklich lachen.
    Die beiden Jungen freuten sich auf den Markt. In den letzten Wochen hatte Mendel sie nicht mehr losziehen lassen, obwohl das Geld, wie sie wussten, knapp geworden war und er wieder Schulden beim Müller hatte machen müssen. »Ihr bleibt hier«, hatte er geantwortet, wenn Schmulik vorschlug, zum Markt zu gehen. »In diesen Zeiten ist das für Juden zu gefährlich.« Doch nun, nach dem kaiserlichen Dekret, war alles anders geworden, und er hatte ihnen selbst vorgeschlagen, ihren Stand auf dem Markt in der Altstadt aufzubauen.
    Der Karren war beladen und Schmulik hatte sich bereits die Geldtasche um den Leib geknotet, als plötzlich Fejgele in den Hof kam, ein Paket mit belegten Broten und eine Kanne Himbeersaft in den Händen. »Meine Mutter schickt mich«, sagte sie mit ihrer seltsam rauen Mädchenstimme, »hier, das ist für euch.«
    Schmulik streckte die Hände aus, um ihr die Sachen abzunehmen und auf den Karren zu stellen, und dabei berührten sich ihre Fingerspitzen. Fejgele wurde rot und senkte den Kopf, und Jankel sah, dass auch Schmulik das Blut ins Gesicht schoss. Verlegen, als habe er etwas gesehen, was nicht für seine Augen bestimmt war, drehte er sich um.
    Während sie, jeder einen Griff in der Hand, den Karren durch die Breite Gasse schoben, sagte Schmulik plötzlich: »Fejgele ist ein besonders

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