Golem und Dschinn: Roman (German Edition)
wurde. Er bestand darauf, es wieder und wieder zu versuchen, verwässerte den Arrak Tropfen um Tropfen und sah zu, wie sich die milchigen Tentakel im Glas ausstreckten.
»Aber wie ist das möglich?«, hatte er Arbeely gefragt. »Weiß nicht«, hatte Arbeely grinsend geantwortet und ein weiteres Experiment des Dschinns geschluckt. »Es ist einfach so.«
»Nur weil du betrunken warst, stimmt es heute nicht mehr?«, fragte der Dschinn.
»Ja. Alkohol hat einen schlechten Einfluss. Und selbst wenn ich nicht glauben würde, was würde es ändern? Du hast ohne meinen Glauben existiert. Das Gleiche gilt für Gott, ohne dass du an ihn glaubst.«
Aber in Wahrheit stand Arbeelys Glauben auf unsicheren Beinen. Schlimmer noch, der Streit zwang ihn dazu, seine wackligen Glaubensgrundsätze zu überprüfen, obwohl er sich eigentlich nur nach dem Trost des Vertrauten sehnte. Nachts, wenn er allein in seinem Bett lag, lasteten Zweifel und Heimweh auf seinem Herzen, und am liebsten hätte er geweint.
Nichtsdestotrotz besuchte er an Heiligabend die Messe. In dem von Kerzen erhellten Saal ging er mit seinen Nachbarn zur Kommunion. Das in Wein getränkte Brot lag ihm schwer auf der Zunge, und er bemühte sich, etwas von dem Wunder der Geburt des Jesuskindes zu empfinden. Anschließend saß er bei dem Abendessen, das die Damen der Gemeinde organisiert hatten, an einem langen Tisch bei den anderen unverheirateten Männern und aß Taboulé, Fladenbrot und Kibbeh, und nichts schmeckte so gut wie früher bei seiner Mutter. Zwei Männer holten eine Oud und eine Trommel, und alle zusammen tanzten sie die Dabke. Auch Arbeely tanzte, nicht aus wirklicher Begeisterung, sondern weil es zu schmerzhaft gewesen wäre, es nicht zu tun.
Bald darauf machte er sich auf den Heimweg. Es war eine kalte, frostige Nacht; die Luft tat ihm in der Lunge weh. Vielleicht, so dachte er, würde er ein Glas Arrak trinken – nur eins – und früh ins Bett gehen. Dann sah er, dass in der Werkstatt noch Licht brannte. Seltsam. Normalerweise streifte der Dschinn um diese Uhrzeit durch die Stadt, verführte junge Erbinnen oder was immer er sonst tat.
Arbeely fand die Werkstatt leer vor. Der Dschinn wusste doch, dass er die Lampe nicht brennen lassen sollte! Gereizt wollte er sie löschen.
Auf der Werkbank stand im Lichtschein eine kleine silberne Eule.
Arbeely nahm sie in die Hand und betrachtete sie von allen Seiten. Die Eule saß auf einem Baumstumpf und schaute ihn aus riesengroßen, weit auseinanderstehenden Augen an. Der Dschinn hatte mit einer winzigen Klinge eine Halskrause aus aufgestellten Federn und einen schmalen spitzen Schnabel modelliert. Insgesamt hatte er die am empörtesten dreinblickende Eule geschaffen, die Arbeely je gesehen hatte.
Er lachte vor Vergnügen laut auf. Das war doch nicht etwa ein Weihnachtsgeschenk? War sie als Entschuldigung gedacht oder nur einer Laune entsprungen? Vielleicht von beidem etwas? Lächelnd steckte er die Eule ein und ging ins Bett.
Die Eule war tatsächlich als Entschuldigung gedacht, aber für etwas, von dem Arbeely nichts wusste.
Das Gezänk über Religion hatte auch vom Dschinn seinen Tribut gefordert. Nie zuvor waren ihm die Menschen so fremd vorgekommen. Er begriff vage, dass es Arbeely schwerfiel, das Thema zu erklären, da es mit seinen Gefühlen für sein Zuhause und seine Familie verbunden war. Aber dann sagte Arbeely etwas so Lächerliches, wie zum Beispiel, dass sein Gott irgendwie drei Götter und gleichzeitig doch nur einer war. Woraufhin der Dschinn in einem Meer der Verzweiflung versank.
Der Mann meinte es gut, aber der Dschinn wollte mit jemand anderem sprechen, mit jemandem, der vielleicht seine Frustration verstand, womöglich sogar ebenso frustriert war. Jemandem, der wie er seine Kräfte verbergen musste.
Er hatte keine Ahnung, ob sie überhaupt mit ihm sprechen würde. Aber er musste wissen, wer sie war. Und als Arbeely seine Werkstatt betrat und die wartende Eule fand, ging der Dschinn bereits den Weg, den er sich eingeprägt hatte, auf der Suche nach der Frau aus Lehm.
Im Lauf der Wochen war es kälter geworden und der Golem von Nacht zu Nacht ruheloser. Am Ende jeden Arbeitstages stellte sie sich noch ein, zwei Minuten vor die abkühlenden Backöfen und saugte ihre letzte Hitze auf. Der Heimweg war ein unglücklicher Marsch in eine scheinbar endlose Gefangenschaft. Eines Abends legte sie sich in ihr Bett, unter die Daunendecke in der Hoffnung, dass sie sie wärmen würde, doch
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