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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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wollte. Das versilberte Teeservice, auf das seine Tante so stolz gewesen war. Ihre Schultertücher und ihren Schmuck, den er in einer Kommodenschublade fand. In derselben Schublade lag ein Beutel mit einer wasserfleckigen Brieftasche und einer kaputten Uhr. Die Uhr war einmal schön gewesen; er hatte sie nie an seinem Onkel gesehen. In der Brieftasche befand sich sowohl amerikanisches als auch polnisches Geld. Er legte beides in die Kiste und fragte sich, ob es Andenken an die Überfahrt seines Onkels waren. Briefe, die wenigen gerahmten Daguerreotypien der Familie, darunter – versteckt in einer Schublade – das Hochzeitsfoto seiner Eltern. Seine Mutter ein pausbäckiges Mädchen unter einem Spitzenschleier, der mit Blumen besetzt war. Groß und schlank und mit einem Zylinder auf dem Kopf sein Vater, der nicht in die Kamera oder auf seine junge Frau schaute, sondern zur Seite, als würde er bereits die Flucht planen. Der alte Zorn auf seinen Vater flammte kurz wieder auf, bevor er sich im Meer all seiner Sorgen auflöste. Unter dem Bett fand er einen Ranzen, halb voll mit zerfledderten alten Büchern. Er stellte sie zu den anderen ins Regal. Er wusste von einer Wohltätigkeitsorganisation, die Bücher an neue jüdische Gemeinden im Mittleren Westen schickte – sie wären zweifellos daran interessiert.
    Unter dem Tuch auf dem Wohnzimmertisch fand er einen dünnen Stapel Papiere mit der Handschrift seines Onkels. In ihrer Eile, die Wohnung für die Trauergäste aufzuräumen, hatten die Freunde seines Onkels sie übersehen. Neben dem Stapel lag ein Blatt, als wäre es wichtiger als die anderen. Es war mit zwei Zeilen in einem fremdartigen, nicht entzifferbaren Hebräisch beschrieben. Es sah alles sehr geheimnisvoll aus, und er überlegte, ob er die Papiere nicht dem erstbesten Rabbi aushändigen sollte, der ihm über den Weg lief; aber die Handschrift seines Onkels übte einen starken Sog auf ihn aus. Er konnte sie nicht weggeben, noch nicht. Es war noch alles zu frisch. Müde warf er die Papiere in den leeren Ranzen. Er würde sie später sortieren, wenn er wieder klar denken konnte.
    Er schleppte die Kiste und den Ranzen in seine Wohnung und schob sie unter einen Tisch. Er schwitzte noch immer, und ihm war schlecht, obwohl er seit Tagen kaum etwas gegessen hatte. Er erbrach sich in die Toilette und sank dann auf sein Bett.
    Am Morgen fand ihn ein Mitbewohner schweißgebadet und zitternd. Ein Arzt wurde geholt. Vielleicht eine leichte Grippe, sagte der Doktor; und innerhalb weniger Stunden stand das gesamte Gebäude unter Quarantäne, seine Türen unpassierbar.
    Michael wurde in das Swinburne Island Krankenhaus gebracht, wo er zwischen den verängstigten und verzweifelten Immigranten lag, die auf Ellis Island abgelehnt worden waren, zwischen den Sterbenden und falsch Diagnostizierten. Sein Fieber stieg. Er halluzinierte und sah ein Feuer an der Zimmerdecke und dann ein Nest sich windender triefender Schlangen. Er wollte vor ihnen davonlaufen und musste feststellen, dass er ans Bett gebunden war. Er schrie auf, und eine kühle teilnahmslose Hand legte sich auf seine Stirn. Jemand hielt ihm ein Glas Wasser an die Lippen. Er trank so viel er konnte, und versank wieder in schrecklichen Visionen.
    Nicht nur Michael schrie im Delirium auf dieser Station. In einem Bett in seiner Nähe lag ein Pole in den Vierzigern, der in Danzig wohlauf und gesund an Bord der
Baltika
gegangen war. Er schaffte es ohne Zwischenfälle nach Ellis Island und stand ganz vorn in der Schlange für die Gesundheitsprüfung, als ihm jemand auf die Schulter klopfte. Der Mann drehte sich um und sah hinter sich einen kleinen, verhutzelten Greis in einem zu großen Mantel. Der alte Mann winkte ihn zu sich, er wollte offenbar etwas sagen. Er neigte sich zu ihm hinunter, um ihn in der vollen Halle besser verstehen zu können, woraufhin ihm der Greis stammelnd eine Reihe bedeutungsloser Wörter ins Ohr flüsterte.
    Der Mann schüttelte den Kopf, weil er nichts verstanden hatte – und dann schüttelte er den Kopf heftiger, denn die gemurmelten Wörter hatten sich in ihm eingenistet. Sie wurden lauter, schossen von der einen Seite seines Schädels zur anderen, summten wie Wespen. Er steckte die Finger in die Ohren.
Bitte helft mir
, versuchte er zu sagen, aber in dem Krach konnte er seine eigene Stimme nicht hören. Der alte Mann blickte unschuldig und verwirrt drein. Die Leute in der Schlange starrten ihn bereits an. Er hielt sich den Kopf – der

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