Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
Vom Netzwerk:
Aber wir müssen woanders hingehen. Irgendwohin, wo wir allein sind und uns niemand hört.«
    Er lächelte erfreut über seinen Erfolg. »In Ordnung. Irgendwo, wo wir allein sind.« Er überlegte und sagte dann: »Warst du schon einmal im Aquarium?«

    »Erstaunlich«, flüsterte der Golem eine halbe Stunde später.
    Sie standen im großen Saal des Aquariums vor einem Becken mit kleinen Haifischen. Die langen eleganten Geschöpfe schwammen träge durch das dunkle Wasser, ihre weit geöffneten Augen verfolgten jede Bewegung ihrer Besucher.
    Der Dschinn betrachtete sie, während sie von Becken zu Becken schlenderten. Auf dem Weg in den Battery Park hatte sie aufmerksam umhergeschaut, und als er das Vorhängeschloss an der Tür schmolz, hatte er gespürt, wie sich ein Paar Augen missbilligend in seinen Rücken bohrten. (Der Wachmann musste seines Arbeitsplatzes überdrüssig geworden sein, oder aber das Wetter war zu kalt geworden, denn er war nirgendwo zu sehen.) Ihr Äußeres war angenehm, aber keineswegs verlockend. Wäre sie ein Mensch gewesen, wäre er auf der Straße an ihr vorbeigegangen, ohne sie wirklich zu bemerken.
    »Ich habe den Ozean überquert«, sagte sie, »ohne zu wissen, dass sich solche Wesen unter mir befanden.«
    »Ich habe den Ozean nie gesehen, nur die Bucht«, erwiderte der Dschinn. »Wie ist der Ozean?«
    »Riesengroß. Kalt. Er hat sich in jeder Richtung endlos erstreckt. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, hätte ich gedacht, dass die ganze Welt aus diesem Ozean besteht.«
    Er schauderte bei dieser Vorstellung. »Das klingt schrecklich.«
    »Nein, es war sehr schön«, sagte sie. »Das Wasser hat sich immer verändert.«
    Sie standen schweigend und angespannt nebeneinander. Seltsam, dachte er – jetzt, da sie zugestimmt hatte, mit ihm zu sprechen, wusste er kaum, wie er es anstellen sollte.
    »Ich wurde auf dem Ozean zum Leben erweckt«, sagte sie. Dann hielt sie inne, als horchte sie auf das Echo ihrer Worte, ungläubig, dass sie sie laut ausgesprochen hatte.
    »Zum Leben erweckt«, wiederholte er.
    »Im Frachtraum eines Schiffs. Von einem Mann. Er war für kurze Zeit mein Meister. Für sehr kurze Zeit.« Jeder Satz schien mit Anstrengung tief aus ihrem Innersten hervorzudringen, als müsste sie mit sich ringen, ihn zu sagen. »Er ist bald darauf gestorben.«
    »Hast du ihn umgebracht?«
    »Nein.« Sie schaute ihn entsetzt an. »Er war krank! So etwas hätte ich nie getan!«
    »Ich habe es nicht böse gemeint«, sagte er. »Du hast ihn deinen
Meister
genannt. Ich habe angenommen, dass er dich gezwungen hat, ihm zu Diensten zu sein.«
    »So war es nicht«, murmelte sie.
    Wieder herrschte argwöhnisches Schweigen. Sie sahen eine Zeit lang den Haien zu und wurden von ihnen beobachtet.
    »Auch ich hatte einen Meister«, sagte der Dschinn. »Einen Zauberer. Ich hätte ihn von Herzen gern umgebracht.« Er runzelte die Stirn. »Ich hoffe, dass ich ihn tatsächlich umgebracht habe. Aber ich kann mich nicht erinnern.« Und er erzählte seine Geschichte, erzählte vom Leben in der Wüste, von seinem Gedächtnisverlust, der Gefangennahme und seiner unvollständigen Befreiung, der eisernen Schelle, die ihn an menschliche Form fesselte.
    Während er sprach, wurden ihre Züge weicher. »Wie schrecklich«, sagte sie, als er geendet hatte.
    »Ich habe es nicht erzählt, damit du mich bemitleidest«, sagte er gereizt. »Ich wollte mich nur erklären, damit du nicht wie ein verängstigtes Kind vor mir davonläufst.«
    »Wenn ich übervorsichtig bin, dann aus gutem Grund«, entgegnete sie. »Ich muss auf der Hut sein.«
    »Und in der Nacht, als wir uns begegnet sind? Wenn du so vorsichtig bist, wie konntest du dich dann verlaufen?«
    »Ich war nicht ich selbst«, murmelte sie. »Es war die Nacht, in der der Rabbi starb.«
    »Ich verstehe.« Er hatte den Anstand, ein bisschen verlegen zu sein. »Wer war er?«
    »Ein guter Mensch. Mein Beschützer. Er hat mich aufgenommen, nachdem mein Meister gestorben war.«
    »Du hattest Pech mit deinen Meistern und Beschützern.«
    Gekränkt zuckte sie zurück. »Mein Meister war krank, und mein Beschützer war alt.«
    »Und bist du so hilflos, dass du entweder den einen oder den anderen brauchst?«
    »Du verstehst nicht«, sagte sie und schlang die Arme um sich.
    »Dann erklär’s mir.«
    Sie sah ihn an. »Noch nicht«, sagte sie. »Ich traue dir noch nicht ganz.«
    Langsam ärgerte er sich. »Was soll ich dir denn noch erzählen?«
    »Erzähl mir, was du nachts

Weitere Kostenlose Bücher