Golem und Dschinn: Roman (German Edition)
er zusammen, weil ihm etwas eingefallen war. »Doch. Einem Mann.«
Sie drehte sich um und ging zurück.
»Nein, warte!«, rief er und folgte ihr. »Er ist der, von dem ich dir erzählt habe, der Kupferschmied. Er kennt mein Geheimnis und hat es niemandem erzählt. Er wird auch deins für sich behalten.«
»Sprich leiser!«, zischte sie. Sie blickte an der Pension hoch, aber in keinem Fenster brannte Licht.
Er seufzte und bemühte sich, nicht die Geduld zu verlieren. »Bitte. Du bist die Einzige, die ich hier kenne, die nicht … wie
sie
ist. Ich will nur mit dir reden. Nichts anderes.«
Sagte er die Wahrheit? Sie runzelte die Stirn und versuchte, in ihn hinein zu sehen. Sie spürte seine Neugier, aber sie wurde verdunkelt von etwas anderem, tief in seinem Innersten, wie ein riesiger schwarzer Schatten.
Sie versuchte, ihn zu erreichen – und wurde beinahe hineingezogen von einer Sehnsucht, wie sie sie nie zuvor verspürt hatte. Als wäre ein Teil seiner Seele gefangen und würde in einem endlosen Moment festgehalten. Dieser Teil konnte sich nicht rühren, nicht sprechen oder irgendetwas anderes tun, außer lautlos gegen seine Gefangenschaft anzuschreien.
Sie schauderte und wich zurück. Er sah sie verwirrt an. »Was ist los?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht. Ich kann nicht mit dir sprechen.«
»Glaubst du, dass ich dir Böses will? Den Mann möchte ich sehen, der das versuchen würde. Ich weiß, wie stark du bist, Chava.«
Sie erschrak – aber natürlich, sie hatte ihm an jenem Abend ihren Namen genannt. Unbedacht, viel zu unbedacht!
»Na gut«, sagte er. »Machen wir es so. Eine Frage. Beantworte mir aufrichtig eine Frage, und ich werde dir auch eine beantworten. Und ich lasse dich in Ruhe, wenn du es so willst.«
Sie überlegte. Er wusste bereits zu viel. Aber wenn er dann gehen würde … »In Ordnung«, sagte sie. »Eine Frage. Stell sie.«
»Hat dir der Vogel gefallen?«
Das
war seine Frage? Sie suchte nach einer verborgenen Falle oder einer versteckten Bedeutung, aber sie fand nichts. »Ja«, sagte sie. »Er ist wunderschön.« Und dann fügte sie etwas verspätet hinzu: »Danke.«
Er nickte erfreut. »Nicht gerade meine beste Arbeit«, sagte er. »Das Licht hier ist zu schlecht. Du hast mich darauf gebracht. Es ist ein Wüstenvogel, der schnell erschrickt.« Er lächelte. »Jetzt bist du dran.«
Sie hatte tatsächlich eine Frage, über die sie den ganzen Tag nachgedacht hatte. »Woher wusstest du, dass ich nicht schlafe?«
Jetzt war er es, der erschrak. »Was meinst du?«
»Du bist letzte Nacht gekommen und hast unter meinem Fenster gestanden. Und du hast gewusst, dass ich nicht im Bett liege und schlafe. Woher?«
Die Frage machte ihn ratlos, und er lachte überrascht. »Ich weiß es nicht«, sagte er. »Ich habe nicht darüber nachgedacht.« Er überlegte eine Weile und sagte dann: »In der Nacht, als wir uns begegnet sind, hast du dich nicht wie jemand bewegt, der zu Hause im Bett liegen sollte. Vielleicht wusste ich es daher. Die Menschen gehen nachts anders als tagsüber. Ist dir das auch aufgefallen?«
»Ja!«, rief sie. »Als ob sie gegen den Schlaf ankämpfen oder davor davonlaufen, auch wenn sie hellwach sind.«
»Du jedoch nicht«, sagte er. »Du hattest dich verirrt, aber du bist gegangen, als wäre es helllichter Tag.«
Kaum etwas anderes hätte ihren Widerstand so gründlich brechen können. Über genau diese Art von Beobachtungen hätte sie mit niemand anderem sprechen können, nicht einmal mit dem Rabbi. Er hätte die Erkenntnis gewürdigt, aber er hätte ihre Wahrheit nicht mit dem gleichen Gefühl der Entfremdung, der Distanz zu allem um sie herum empfunden.
Er schaute ihr ins Gesicht, als wollte er ihre Reaktion beurteilen. »Bitte«, sagte er. »Ich will nur mit dir reden. Dir wird nichts geschehen. Ich gebe dir mein Wort.«
Vorsicht befahl ihr, ihm den Rücken zu kehren und in die Pension zurückzugehen. Doch sie spürte die kalte belebende Luft im Gesicht und den Schmerz in ihren steifen Gliedern. Sie blickte zu ihrem Fenster hinauf; und plötzlich war ihr der Gedanke, den Rest der Nacht in ihrem Zimmer zu verbringen und zu nähen, unerträglich.
»Versprichst du mir«, sagte sie, »nie wieder jemandem von mir zu erzählen?«
»Ich verspreche es.« Er zog eine Augenbraue in die Höhe. »Versprichst du mir das Gleiche?«
Was sollte sie tun? Bislang hatte er kein falsches Spiel gespielt; sie durfte es auch nicht. »Ja. Ich verspreche es.
Weitere Kostenlose Bücher