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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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waren jetzt am Rand ihres Viertels, der Grenze dessen, was sie kannte. Die Kakophonie der Bowery einen Block weit entfernt drang bis zu ihnen. Ein paar Männer kamen ihnen entgegen, und sie zog die Kapuze ihres Umhangs tiefer ins Gesicht.
    »Tu das nicht«, sagte der Dschinn.
    »Warum nicht?«
    »Es sieht aus, als ob du etwas zu verbergen hättest.«
    Aber hatte sie das nicht? Die vom Gehen hervorgerufene Euphorie ließ nach; die Angst kehrte zurück, und sie erschrak über die Freiheiten, die sie sich herausgenommen hatte. Sie erreichten die Houston Street, und sie warf von der Seite einen Blick auf ihren Begleiter. War es nicht komisch, dass sie nicht miteinander sprachen? Die Leute, die sie nachts auf der Straße sah, redeten normalerweise miteinander. Andererseits war er für gewöhnlich allein unterwegs. Und das Schweigen war nicht unangenehm.
    Sie kamen zur Great Jones Street und stießen dann auf den weiten, elektrisch beleuchteten Broadway. Die Gebäude hier waren höher und breiter, und sie schob die Kapuze zurück, um besser sehen zu können. Statt Ziegel und Sandstein waren hier Marmor und Glas verbaut. Schaufenster lockten mit Kleidern und Stoffen, Hüten mit Federn, Schmuck, Halsketten und Ohrringen. Wie hypnotisiert ließ sie Ahmad weitergehen und betrachtete eine Schneiderpuppe, die ein weites, raffiniertes Kleid aus saphirblauer Seide trug. Wie lange es gedauert haben musste, etwas so Schönes, so Kompliziertes zu nähen! Sie folgte den Nähten mit dem Blick, um zu verstehen, wie das Kleid gemacht war; der Dschinn wartete ungeduldig auf dem Gehweg, bis er schließlich kam, um sie anzutreiben.
    An der 14 th Street gelangten sie zu einem großen Park mit der riesigen Statue eines Mannes, der auf einem Pferd saß, und sie fragte sich, ob sie ihr Ziel erreicht hatten. Doch der Dschinn ging an der Westseite des Parks entlang bis sie wieder am Broadway waren. Auf den Straßen, die sich abgesehen von gelegentlichen geschlossenen Einspännern verlassen in alle Richtungen erstreckten, war es jetzt unheimlich still. Sie kamen an einem schmalen Dreieck unbebauten Lands an der 23 rd Street vorbei, auf dem verstreute, mit Schnee bedeckte Zeitungen im Wind raschelten. Das Dreieck befand sich an einer Stelle, wo mehrere breite Straßen aufeinanderstießen; in einer Straße stand ein prächtiger weißer Triumphbogen und eine Kolonnade. In dem großen Torbogen brannten elektrische Lichter, die die Kolonnade in breite Streifen aus Licht und Schatten tauchten und einen schwachen Schein in den düsteren Himmel warfen.
    Der Madison Square Park erstreckte sich vor ihnen, ein dunkles Wäldchen kahler Bäume. Sie gingen hinein und spazierten über die Wege. Der Park war menschenleer. Sogar die Obdachlosen hatten sich warme Eingänge oder Treppenhäuser gesucht. Nur der Golem und der Dschinn bewegten sich durch die Stille. Der Golem schaute an, was immer ihr ins Auge stach: dunkle Denkmäler von Männern mit ernsten Gesichtern, den eisernen Schnörkel an einer Parkbank. Sie machte ein paar Schritte über den Schnee, um die Hand auf die raue Rinde eines Baums zu legen, dann blickte sie hinauf zu den kahlen Ästen, die sich über den Himmel erstreckten.
    »Das ist besser, als die ganze Nacht in deinem Zimmer zu sitzen, oder?«, fragte Ahmad, als sie weitergingen.
    »Ja«, gab sie zu. »Sind alle Parks so groß?«
    Er lachte. »Es gibt noch viel größere.« Er schaute sie von der Seite an. »Wie ist es möglich, dass du noch
nie
in einem Park gewesen bist?«
    »Vermutlich weil ich noch nicht sehr lange am Leben bin«, sagte sie.
    Er runzelte verwirrt die Stirn. »Wie alt bist du?«
    Sie dachte nach. »Sechs Monate. Und ein paar Tage.«
    Der Dschinn blieb stehen. »Sechs
Monate?
«
    »Ja.«
    »Aber –« Er machte eine schwungvolle Handbewegung, die ihre erwachsene Gestalt und Erscheinung umfasste.
    »Ich wurde so erschaffen, wie du mich siehst«, sagte sie etwas verlegen, da sie es nicht gewohnt war, über sich zu sprechen. »Ein Golem altert nicht, wir leben weiter, so wie wir sind, außer wir werden zerstört.«
    »Und ihr seid alle so?«
    »Ich glaube schon. Aber ich bin nicht sicher. Ich bin nie einem anderen Golem begegnet.«
    »Wie, keinem einzigen?«
    »Vielleicht bin ich der einzige«, sagte sie.
    Höchst erstaunt schwieg der Dschinn. Sie gingen am Rand des Parks entlang.
    »Und wie alt bist du?«, fragte der Golem, um das Schweigen zu brechen.
    »Ein paar Hundert Jahre«, antwortete er. »Wenn mir kein Unglück

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