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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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nicht denken? Was für eine Sorte Mann nahm sich einen Golem zur Frau, so wie ein Lieferant sich ein neues Fuhrwerk kauft?
    Aber andererseits – wieder in dieser Sicherheit zu leben! Die Erinnerung daran stieg in ihr auf, deutlich und betörend. Und sie hätte nicht das Gefühl, benutzt zu werden. Eine Wahl, eine Entscheidung – und dann, nichts.
    »Ich weiß es nicht«, sagte sie schließlich. »Vielleicht. Obwohl es sich wohl anfühlen würde wie sterben. Aber vielleicht wäre es am besten. Auf mich allein gestellt mache ich so viele Fehler.«
    Ahmad gab einen Laut von sich, der nicht ganz ein Lachen war. Sein Mund war ein harter Strich; er starrte auf die Bäume, als würde er es nicht ertragen, sie anzusehen.
    »Ich habe etwas gesagt, was dich gekränkt hat«, stellte sie fest.
    »Tu das nicht«, fuhr er sie an. »Schau nicht in mich hinein.«
    »Das war gar nicht nötig«, entgegnete sie. Ein ungewohnter Trotz stieg in ihr auf. Sie hatte ihm eine ehrliche Antwort gegeben, und offenbar hatte sie ihn damit vor den Kopf gestoßen. Nun, dann war es eben so. Wenn er ihre Gesellschaft nicht wollte, dann fand sie auch allein ihren Weg nach Hause. Sie war kein Kind, gleichgültig was er dachte.
    Sie war kurz davor, zum Broadway zurückzugehen, als er sagte: »Weißt du noch, was ich dir erzählt habe? Dass ich gefangen genommen wurde, mich aber nicht daran erinnere?«
    »Ja, natürlich weiß ich das noch.«
    »Ich habe keine Ahnung«, sagte er, »wie lang ich der Knecht dieses Mannes war. Sein
Sklave.
Ich weiß nicht, wozu er mich gezwungen hat. Vielleicht habe ich entsetzliche Dinge getan. Vielleicht habe ich für ihn getötet. Womöglich habe ich sogar meine Artgenossen umgebracht.« Seine Stimme klang angespannt, und es war quälend, ihm zuzuhören. »Aber noch schlimmer wäre es, wenn ich das alles auch noch
gern
getan hätte. Wenn er mir meinen Willen geraubt und mich umgedreht hätte. Hätte ich die Wahl, würde ich mich lieber in den Ozean stürzen und umbringen.«
    »Aber wenn diese fürchterlichen Dinge wirklich passiert sind, dann waren sie die Schuld des Zauberers, nicht deine«, sagte sie.
    Wieder dieses merkwürdige Lachen. »Hast du Kollegen in der Bäckerei, in der du arbeitest?«
    »Natürlich«, sagte sie. »Moe und Thea Radzin und Anna Blumberg.«
    »Stell dir vor, dass dein geschätzter Meister zurückkehrt und du dich wieder an ihn bindest, was du, wie du gesagt hast, ja vielleicht tun würdest. Weil du so viele
Fehler
machst. Und er sagt: ›Bitte, mein lieber Golem, bring die netten Leute in der Bäckerei um, die Radzins und Anna Blumberg. Reiß ihnen Arme und Beine aus.‹«
    »Aber warum –«
    »Ach, aus irgendeinem Grund! Sie haben ihn beleidigt oder bedrohen ihn oder einfach, weil es ihm gefällt. Stell es dir einfach vor. Und dann sag mir, ob dich der Gedanke tröstet, dass es nicht deine Schuld ist.«
    Das war eine Möglichkeit, die sie nie bedacht hatte. Und jetzt konnte sie nicht anders, als es sich vorzustellen: Wie sie Moe Radzin am Arm packte und zog, bis er abriss. Sie hatte die Kraft dazu. Sie konnte es tun. Und währenddessen würde sie sich zufrieden und sicher fühlen.
    Nein
, dachte sie – aber die Gedanken ließen sich nicht mehr aufhalten. Was, wenn Rotfeld heil und gesund mit ihr in Amerika angekommen wäre und der Rabbi sie eines Tages auf der Straße bemerkt hätte? Sie sah vor sich, wie der Rabbi Rotfeld konfrontierte – und dann zerrte sie den Rabbi in eine Seitenstraße und brachte ihn um.
    Am liebsten hätte sie laut aufgeschrien. Sie presste die Handflächen auf die Augen, um die Bilder zu verscheuchen.
    »Verstehst du mich jetzt?«, fragte der Dschinn.
    »Lass mich in Ruhe!«
    Der Schrei hallte über den Platz und wurde von den steinernen Fassaden zurückgeworfen. Erschrocken wich der Dschinn mit erhobenen Händen zurück – um sie zu beschwichtigen oder einen Angriff abzuwehren.
    Dann herrschte wieder Stille. Sie spreizte die Finger, versuchte, sich zu beruhigen. Die Dinge, die sie sich vorgestellt hatte, waren eingebildet. Sie hatte den Radzins oder Anna nichts getan. Es gab keinen Grund, warum sie ihnen etwas antun sollte. Rotfeld war tot; seine Leiche lag auf dem Grund des Ozeans. Sie würde nie wieder einen Meister haben.
    »Ja«, sagte sie. »Ja. Ich verstehe, worauf du hinauswillst.«
    »Ich wollte dich nicht beunruhigen«, sagte der Dschinn.
    »Nein?«, murmelte sie.
    Eine Pause. »Wenn doch, dann war es falsch von mir.«
    »Nein, du hattest recht. So

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