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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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gestatten wirst, dich zu besuchen, auch wenn du verheiratet bist.«
    »Aber ja«, sagte sie überrascht und gerührt. »Und wenn du möchtest, kannst du auch zur Hochzeit kommen.« Wie lustig, dachte sie, ein Gesandter der Dschinn bei ihrer Hochzeit, als wäre sie die Königin in einem Märchen.
    »Hätte deine Familie denn nichts dagegen?«
    »Wir werden es ihr nicht sagen«, sagte sie und kicherte. Bei ihm kam ihr das nicht unschicklich vor.
    Er lehnte sich lachend zurück und musterte sie. »Eine Hochzeit. Ja, das würde ich gern sehen. Fadwa, würdest du mir zeigen, was genau eine Hochzeit ist?«
    »Dir zeigen?« Hatte er
erklären
gemeint? Sie runzelte unsicher die Stirn. Doch er streckte die Hand – er saß jetzt neben ihr; wann hatte er sich bewegt? – und strich die Falten auf ihrer Stirn glatt. Wieder wurde ihre Haut unerwartet warm; wieder hatte sie dieses merkwürdige Gefühl im Bauch.
Zeig es mir
, flüsterte er. Plötzlich war sie unendlich müde. Er hätte doch gewiss nichts dagegen, wenn sie sich zusammenrollte und schlief (ein Teil von ihr flüsterte,
du dummes Mädchen, du schläfst bereits
, aber das war ein Traum und sie ignorierte ihn), und seine Hand auf ihrer Stirn fühlte sich so wunderbar an, dass sie keinen Widerstand leistete, sondern der Erschöpfung nachgab, die sie überwältigte.
     
    Fadwa schlug die Augen auf.
    Sie befand sich in einem Zelt, dem Zelt eines Mannes. Sie war allein. Sie blickte an sich hinunter. Ihre Hände und Füße waren mit Henna bemalt. Sie trug ihr Hochzeitskleid.
    Sie erinnerte sich, dass ihre Mutter und ihre Tanten sie im Frauenzelt angezogen und ihre Hände bemalt hatten. An die Verhandlung des Brautpreises, der Zurschaustellung ihrer Mitgift. An Singen, Tanzen, ein Fest. Dann der Hochzeitszug mit ihr an der Spitze. Und jetzt wartete sie allein im Zelt eines Fremden. Von draußen drangen Gelächter, Trommelschläge, Hochzeitslieder zu ihr. Vor ihr befand sich ein Bett, auf dem zahllose Felle und Decken lagen.
    Hinter ihr stand ein Mann.
    Sie drehte sich zu ihm um. Er trug jetzt das schwarze Hochzeitsgewand der Beduinen und sah schlank und elegant aus. Er hielt ihr die Hände hin, in denen eine Kette lag, die erstaunlichste Kette, die sie je gesehen hatte: eine verschlungene Kette aus goldenen und silbernen Gliedern und makellosem blauweißem Glas, durchwirkt mit Filigran. Die Kette sah aus, als hätte er seinen Palast genommen und ihn in eine Spielerei verwandelt, die sie um den Hals tragen konnte. Sie streckte die Hand und berührte sie. Die Glasplättchen bewegten sich und klingelten leise.
    Ist die für mich?
, flüsterte sie.
    Wenn du sie möchtest.
    Seine Augen funkelten im Lampenlicht. Sie sah Verlangen darin, und es machte ihr keine Angst.
Ja
, sagte sie.
    Er legte ihr die Kette um den Hals, umarmte sie nahezu. Er roch warm wie ein heißer Stein in der Sonne. Seine Finger ließen den Verschluss los und strichen über ihre Schultern, ihre Arme. Sie hatte keine Angst, sie zitterte nicht. Ihre Lippen trafen sich, und sie küsste ihn, als hätte sie seit Jahren auf diesen Moment gewartet. Seine Finger vergruben sich in ihrem Haar. Jetzt trug sie ihr Kleid nicht mehr, es lag als bestickter Haufen zu ihren Füßen, und seine Hände berührten ihre Brüste, und sie empfand keine Furcht. Er hob sie mühelos hoch, und dann lagen sie auf dem Bett, und dann war er in ihr, und es tat überhaupt nicht weh, wie ihre Tanten gesagt hatten. Gemeinsam bewegten sie sich langsam, sie hatten alle Zeit der Welt, und bald war es, als hätte sie schon immer gewusst, wie. Sie küsste ihn und schlang die Beine um ihn, biss sich vor Wonne auf die Lippen und hielt sich fest, als der Wirbelwind, der ihr Geliebter war, sie weit weit forttrug –
    Wach auf!
    Etwas stimmte nicht.
    Fadwa! Wach auf!
    Die Erde bebte unter ihnen, zuerst ein leises Zittern, dann stärker und stärker. Das Zelt brach langsam zusammen. Er versuchte sich ihr zu entziehen, doch sie klammerte sich an ihn, sie hatte Angst, sie wollte nicht loslassen –
    Fadwa!
    Sie hielt sich mit aller Kraft an ihm fest, aber er riss sich los und war nicht mehr da. Das Zelt, die Welt, alles wurde dunkel.
     
    Über dem Lager der Beduinen wirbelte der Dschinn auf den Winden. Nie zuvor hatte er solche Schmerzen verspürt. Er war zerrissen, zerfetzt, der Auflösung nahe. Vage begriff er, dass er sich zu sehr eingelassen hatte, verführt von ihren geträumten Phantasien. Er hatte alle Kraft aufwenden müssen, um zu entkommen.

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