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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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herziehen. Er fragte sich, wer Avram Meyer war und was ihm zugestoßen war.
    Am nächsten Tag erzählte ihm ein anderer Rabbi haargenau das Gleiche. Und dann auch noch ein dritter.
    Am Ende der Woche hatten ihm fünf Rabbis berichtet, dass dieser mittlerweile verstorbene Avram Meyer ihre geheimsten Bücher gestohlen hatte. Er betrachtete ihn nunmehr als Feind, als aufdringlichen Geist, der durch die Stadt schwebte, ihm aus dem Grab heraus immer ein paar Schritte voraus war, Bücher ausschnüffelte und sie ihm wegschnappte.
    Beim letzten Rabbi traute sich Schaalman noch eine weitere Frage zu stellen. Hatte dieser Meyer Familie?
    Einen Neffen
, sagte der verzauberte Rabbi,
der vom Glauben abgefallen ist. Michael Levy, der Sohn seiner Schwester.
    Als Schaalman die Synagoge verließ, schwirrte ihm der Kopf. Der Name war lächerlich weit verbreitet; allein in der Lower East Side mussten über hundert Michael Levys leben.
    Und doch war er sich sicher.
    Michael Levy saß wie gewöhnlich im Wohnheim in seinem Büro und blätterte in Unterlagen. Er wirkte vitaler als früher, was Schaalman bislang nicht aufgefallen war. Aber andererseits hatte er Levy überhaupt nicht beachtet.
    »Ich habe gehört«, sagte Schaalman, »dass Sie einen Onkel namens Avram Meyer hatten.«
    Michael blickte überrascht auf. »Ja«, nickte er. »Er ist letztes Jahr gestorben. Wer hat Ihnen das erzählt?«
    »Ein Rabbi, den ich zufälligerweise kennengelernt habe«, antwortete Schaalman. »Als ich erwähnt habe, dass ich im Wohnheim arbeite, fiel Ihr Name.«
    Michael lächelte schief. »Bestimmt ohne große Begeisterung«, sagte er. »Mein Onkel und seine Freunde wollten, dass ich Rabbiner werde. Und dann ist alles anders gekommen.«
    »Er hat gesagt, dass Ihr Onkel eine wunderbare Privatbibliothek hatte.« Er folgte seiner Intuition. »Ich erwähne das nur, weil ich auf der Suche nach einem bestimmten Buch bin.«
    »Ich wünschte, ich könnte Ihnen helfen«, sagte Michael. »Ich habe alle seine Bücher einer Wohlfahrtsorganisation geschenkt, die sie an Gemeinden im Westen geschickt hat. Sie sind vermutlich in alle Winde verstreut.«
    »Ach so«, sagte Schaalman leichthin. »Wie schade.«
    Michael lächelte. »Merkwürdig, dass Sie meinen Onkel erwähnen. Ich habe in letzter Zeit öfter an ihn gedacht, und das hat auch etwas mit Ihnen zu tun.«
    »Mit mir?«, fragte Schaalman erschrocken.
    »Irgendwie erinnern Sie mich an ihn. Ich wünschte, er hätte Sie kennengelernt, bevor er starb.«
    »Ja«, sagte Schaalman. »Das hätte mir gefallen.«
    »Und dann natürlich auch wegen der Hochzeit. Es wird seltsam sein, dass er nicht dabei ist.« Als er Schaalmans ausdruckslose Miene sah, lachte Michael ungläubig auf. »Joseph, habe ich es Ihnen nicht gesagt? Guter Gott, wie zerstreut ich doch bin. Ich werde heiraten!«
    Schaalman zwang sich zu einem breiten Lächeln. »Ich gratuliere! Und wer ist die Glückliche?«
    »Sie heißt Chava. Sie arbeitet in Radzins Bäckerei. Wir haben uns über meinen Onkel kennengelernt. Sie kam frisch verwitwet nach Amerika, und er wurde so etwas wie ihr Betreuer.« Er hielt inne. »Joseph? Geht es Ihnen nicht gut?«
    »Doch. Doch, alles in Ordnung.« Seine Stimme klang dünn und leise. »Wahrscheinlich war ich zu lange auf den Beinen. Vielleicht sollte ich mich vor dem Abendessen noch etwas ausruhen.«
    »Aber natürlich. Achten Sie auf Ihre Gesundheit, Jospeh. Wenn ich Ihnen zu viel abverlange, sagen Sie es einfach.«
    Schaalman lächelte seinen Arbeitgeber an und verließ auf unsicheren Beinen das Büro.
     
    Er ging auf die Straße und wanderte ziellos herum, ein Stück Treibholz, das sich von der Menge forttragen ließ. Es war früh am Freitagabend, die Sonne ging gerade unter.
Kehre ein, Sabbat-Braut
, dachte Schaalman und stieß so etwas wie ein Lachen aus. Jede Hoffnung, dass der Zauber falsch gewesen war, hatte sich in nichts aufgelöst. Die Schöpfung hielt ihm seinen eigenen Golem vor Augen wie einem kleinen Kätzchen ein Spielzeug, nach dem es mit der Pfote schlagen konnte. Der dumme alte Schaalman, der tanzende Narr – einst hatte er versucht, den Allmächtigen zu überlisten.
    Die abendlichen Attraktionen der Lower East Side öffneten ihre Pforten. Menschen im Sonntagsstaat versammelten sich vor den Tanzlokalen und Theatern. Aus Kasinos und Kneipen drang mattes gelbes Licht auf die Straßen. Er bemerkte kaum etwas davon. Jemand rempelte ihn an; ein Messer schnitt in seine linke Hosentasche. Er sah zu, wie der

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