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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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und wieder einen unangenehmen heißen Nadelstich im Bauch gespürt. Eine Weile machte sie die anstrengenden Hochzeitsplanungen dafür verantwortlich. Ihre Mutter sprach von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang von nichts anderem als Gästelisten, Aussteuer und Hochzeitsreisen, bis Sophia das Wort
Hochzeit
nicht mehr hören konnte. Doch dann wurde der Nadelstich größer, und sie begann sich zu fragen, ob mit ihr etwas nicht stimmte.
    Als sie im verregneten Frankreich eintrafen, war die Hitze in ihr so groß wie ein Stück glühende Kohle, ein winziger Ofen, der in ihr brannte. Sophia wurde von einer seltsamen nervösen Aufregung heimgesucht, wanderte von einem Zimmer zum anderen, vom schrecklichen Wetter am Ausgehen gehindert. Sie öffnete die Fensterläden in ihrem Schlafzimmer und ließ sich von den Dunstschwaden der Seine umwehen. Doch erst als ihre Mutter davon sprach, dass sie eine Amme suchen sollten für Sophias erstes Kind –
es ist nie zu früh, an diese Dinge zu denken
 –, ging Sophia auf, dass sie sich nicht an ihre letzte Menstruation erinnern konnte.
    Gott sei Dank interpretierte Mrs. Winston Sophias entsetzten Ausdruck als Angst vor ihren ehelichen Pflichten. Sie nahm ihre Tochter beiseite und erzählte ihr in einem untypischen Anfall von Zärtlichkeit von ihren einstigen Ängsten, die sich zum Großteil als unbegründet erwiesen hätten, und wie sie rasch gelernt habe, die Intimitäten der Ehe zu genießen. Nie zuvor war Mrs. Winston ihrer Tochter so nahegekommen und hatte sich ihr gegenüber so verletzlich gezeigt, doch Sophia hörte kein Wort. Das Mädchen entschuldigte sich und lief in ihr Zimmer, wo sie auf und ab schritt, die Hand auf das Feuer in ihrem Bauch gedrückt, und die Wochen zählte, seitdem der Mann namens Ahmad sie das letzte Mal besucht hatte. Seitdem waren mehr als drei Monate vergangen.
    O Gott, war es möglich? Aber was war das? Sie hatte keins der Symptome, die eine Schwangerschaft angeblich mit sich brachte, ihr war weder schlecht, noch war sie müde. Im Gegenteil: Sie fühlte sich, als könnte sie fliegen. Doch ihre Menstruation wollte nicht kommen.
    Sie musste etwas unternehmen, aber was? Ihrer Mutter konnte sie nichts sagen. In New York hatte sie Freundinnen, die ihr geholfen hätten, doch in Paris kannte sie niemanden. Sie sprach kaum genug Französisch, um Sahne für ihren Tee zu bestellen. Vor Hitze glühend und krank vor Sorgen stand sie mitten in ihrem Schlafzimmer, die Faust auf den Bauch gepresst und die Augen geschlossen.
Verschwinde
, dachte sie.
Du bringst mich um.
    Benommen von Hitze und Verzweiflung merkte sie, wie sich etwas in ihr bewegte. Eine Flamme schoss an ihrem Rückgrat nach oben, und dann spürte sie in ihrem Kopf ein kleines ängstliches Flattern, als brächte eine Brise eine Kerzenflamme zum Flackern. Sofort war ihr klar, dass etwas in ihr gefangen war, winzig klein und nur halb geformt, und dass es in ihrem Körper zu ertrinken drohte, obwohl es sie verbrannte. Und keiner von ihnen beiden konnte etwas dagegen tun.
    Oh
, dachte sie,
du armes kleines Ding.
    Hilflos spürte sie, wie es flackerte und erlosch …
     
    Als Sophia das nächste Mal die Augen aufschlug, lag sie in einem Krankenhausbett. Ihre Mutter schlief in einem Sessel neben ihr. Sie fühlte sich schwach und leer, eine vertrocknete Hülse, die im Herbstwind raschelte. Sie begann zu zittern.
    Der Arzt erklärte ihr in hervorragendem Englisch, dass die Schleimhaut ihrer Gebärmutter ungewöhnlich dick geworden sei und ihr Körper sich selbst darum gekümmert habe. Es sei kein bleibender Schaden entstanden und es gebe keinen Grund, warum Sophias Mutter nicht eines Tages eine
Grand-mère
werden sollte. Während Mrs. Winston vor Erleichterung schluchzte, neigte sich der Arzt über Sophia und murmelte, »Passen Sie das nächste Mal besser auf,
oui
?«, bevor er sich lächelnd verabschiedete.
    Aber Sophia hörte nicht auf zu frösteln.
    Nur eine kleine Anämie, sagten die Ärzte, die bald abklingen würde. Doch Tage und Wochen vergingen, und noch immer fröstelte sie, manchmal so sehr, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnte. Es war, als hätte sich ihr Körper an die Hitze gewöhnt und weigerte sich jetzt, sich wieder an die normale Temperatur anzupassen.
    Ratlos schickten sie sie nach Deutschland in einen Kurort in Baden, wo eine stämmige Krankenschwester sie in dampfende Wasserbecken tauchte und ihr Heiltränke einflößte. Kurzfristig fühlte sie sich tatsächlich besser – das

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