Golem und Dschinn: Roman (German Edition)
dass sie wirklich allein ausging. Sie gewöhnte sich allmählich an das Viertel; ein paar Nachmittage in der Woche gingen der Rabbi und sie spazieren. Der Rabbi hatte entschieden, dass ihr Bedürfnis, die Welt zu erleben, bei weitem wichtiger war als die Klatschgeschichten, die daraus resultieren mochten. Dennoch ließ er sie nicht aus dem Auge. Seit kurzem träumte er immer wieder, dass er sie in einer Menschenmenge verlor, in wachsender Panik nach ihr suchte und schließlich ihre große Gestalt inmitten eines lärmenden Mobs entdeckte, der sie zerstören wollte.
Der Golem spürte diese Albträume natürlich, nicht so klar wie wache Gedanken, aber klar genug, um zu begreifen, dass der Rabbi Angst um sie hatte und auch Angst vor ihr. Das machte sie traurig, aber sie versuchte, nicht daran zu denken. Es nützte schließlich niemandem, wenn sie über seine Ängste oder ihre eigene Einsamkeit nachdachte.
Sie backte den Kuchen, befolgte leidenschaftlich genau die Anweisungen, und bereits ihr erster Vesuch war von Erfolg gekrönt. Sie war angenehm überrascht, wie leicht es war und auf welch magische Weise der Backofen den zähen Teig in etwas völlig anderes verwandelte, etwas Festes, Warmes, Duftendes. Der Rabbi aß zwei Stück zu seinem morgendlichen Tee und erklärte den Kuchen zu einem der besten, den er je gegessen hatte.
Am Nachmittag ging sie aus und kaufte weitere Zutaten. Am nächsten Morgen erwachte der Rabbi und fand auf dem Wohnzimmertisch eine ganze Backstube voller Gebäck. Muffins und Kekse, eine Phalanx süßer Brötchen und einen Turm aus Pfannkuchen. Einen dichten, stark gewürzten Laib von etwas, was sich Pfefferkuchen nannte.
»Ich hätte nicht gedacht, dass man in einer Nacht so viel backen kann!« Er sagte es leichthin, aber sie sah seine Betroffenheit.
»Sie wünschten, ich hätte es nicht getan«, stellte sie fest.
Er lächelte. »Vielleicht nicht so viel. Ich bin nur ein einziger Mann mit nur einem Magen. Es wäre eine Schande, wenn etwas verderben würde. Und wir sollten nicht übertreiben, wir beide. Das Gebäck reicht für eine Woche.«
»Es tut mir so leid. Natürlich habe ich nicht nachgedacht …« Sie schämte sich und wandte sich vom Tisch ab. Sie war so stolz auf ihre Backkunst gewesen! Und es hatte sich so gut angefühlt zu arbeiten, die ganze Nacht in der Küche Zutaten abzuwiegen und zu mischen, vor dem kleinen Ofen zu stehen, der die bereits stickige Wohnung noch weiter aufheizte. Und jetzt konnte sie ihr Werk kaum mehr ansehen. »Ich mache so viel falsch!«, brach es aus ihr heraus.
»Meine Liebe, seien Sie nicht so hart zu sich«, sagte der Rabbi. »Das ist alles neu für Sie. Und ich lebe seit Jahrzehnten damit!« Er hatte eine Idee. »Außerdem muss nichts verderben. Würden Sie etwas davon weggeben? Ich habe einen Neffen, Michael, der Sohn meiner Schwester. Er leitet ein Heim für Immigranten und muss viele Münder ernähren.«
Sie wollte widersprechen: Sie hatte die Sachen für den Rabbi gebacken, nicht für Fremde. Doch sie sah, dass er ihr eine elegante Möglichkeit bot, ihren Fehler wiedergutzumachen, und hoffte, dass sie sein Angebot annehmen würde.
»Natürlich«, sagte sie. »Ich helfe ihm sehr gern.«
Er lächelte. »Gut. Wir bringen die Sachen zusammen zu ihm. Es ist an der Zeit, dass Sie sich mit jemand unterhalten, der kein Metzger oder Lebensmittelhändler ist.«
»Glauben Sie, dass ich so weit bin?«
»Ja, das glaube ich.«
Aufgeregt und nervös konnte sie kaum still stehen. »Ihr Neffe. Was für ein Mann ist er? Was soll ich zu ihm sagen? Was wird er von mir denken?«
Der Rabbi hob lächelnd die Hände, als wollte er ihre Flut an Fragen abwehren. »Erstens, Michael ist ein guter Junge – ein guter Mann, sollte ich sagen, er ist fast dreißig. Ich respektiere und bewundere seine Arbeit, obwohl wir nicht immer einer Meinung sind. Ich wünschte nur …« Er hielt inne, doch dann fiel ihm ein, dass der Golem seine Gedanken sehen konnte. Es war besser, ihr die Sachlage zu erklären, als ihr ein vages, verwirrendes Bild zu vermitteln. »Wir standen uns früher näher, Michael und ich. Meine Schwester starb, als er noch klein war, und meine Frau und ich haben ihn großgezogen. Viele Jahre lang war er wie ein Sohn für mich. Aber dann – nun, es fielen unschöne Worte. Ein Streit, wie er vorkommt zwischen Alten und Jungen. Der Schaden wurde leider nie ganz behoben. Und jetzt treffen wir uns seltener.«
Der Golem sah, dass der Rabbi ihr zwar nicht
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