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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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Schaufenster gesehen, schlichter als dieser, aber er hat mich auf die Idee gebracht.«
    Arbeely schüttelte den Kopf. »Er ist viel zu fein. Die Leute werden glauben, dass du dich für was Besseres hältst.«
    Der Dschinn erstarrte. »Sollen sie«, sagte er. Er nahm Arbeely den Schirm wieder ab und stellte ihn in eine Ecke – vorsichtig, um die Seide nicht zu zerknittern.
    An diesem Abend kehrte der Dschinn in die Bowery zurück. Es war eine faszinierende Gegend, anziehend und abstoßend zugleich: ein weitläufiges kakophones Labyrinth, das sich durch das südliche Ende der Stadt schlängelte. Er hatte das Gefühl, dass er es bald satthaben würde; aber bis dahin war es eine gute Möglichkeit, einen unterhaltsamen Abend zu verbringen.
    Er musste sich erst noch an den Schirm gewöhnen. Wenn er darunter ging, fühlte er sich eingeschlossen, eingeengt. Die Tropfen prasselten auf die gespannte Seide, dass sie summte wie ein Schwarm Fliegen.
    Der Regen ließ nach, und es nieselte nur noch leicht. Vorsichtig schloss er den Schirm – der Mechanismus klemmte manchmal – und rollte ihn ein, um die Seide vor verirrten Funken der Hochbahn zu schützen. Er hatte etwas zu erledigen.
    Der Laden, in dem er Gold und Silber kaufte, war auf halber Höhe der Bowery, kurz bevor sie sich mit der Bond Street kreuzt. Er befand sich neben einer Kneipe und unter einem Bordell und wirkte von außen wie ein ganz normaler Tabakladen. Die meisten Transaktionen wurden vom Rhythmus quietschender Betten im Stockwerk darüber begleitet. Ein Hehler namens Conroy, ein kleiner adretter Ire, führte den Laden. Hinter den runden Brillengläsern blickten Conroys Augen scharf und schlau, und er war überaus akkurat. Er schien eine Sammlung muskelbepackter Männer zu beschäftigen. Manchmal tauchte einer von ihnen auf und flüsterte Conroy etwas ins Ohr. Conroy dachte dann kurz nach und nickte oder schüttelte den Kopf, immer mit der gleichen Miene milden Bedauerns. Anschließend verschwand der harte Bursche, um einen unheilvollen Auftrag zu erledigen.
    Zwei betrunkene Männer kauften Tabak und Zigarettenpapier, als der Dschinn den Laden betrat. Conroy freute sich, ihn zu sehen. Als die beiden Männer gingen, schloss Conroy die Tür ab und drehte das Schild im Fenster um. Dann langte er unter den Verkaufstisch und holte ein Sortiment schöner silberner Gegenstände hervor: Besteck, Anhänger, Halsketten und einen kleinen Kerzenständer.
    Der Dschinn griff nach dem Kerzenständer und betrachtete ihn. »Massives Silber?«
    »Durch und durch.«
    Er sah keine Kerben oder Kratzer, die bewiesen, dass Conroy es überprüft hätte, aber der Mann hatte sich bislang nie getäuscht. »Wie viel?«
    Conroy nannte einen Preis. Der Dschinn halbierte ihn, und so ging es immer weiter, bis sie bei einer Summe anlangten, die der Dschinn für nur leicht übertrieben hielt. Er zahlte, und Conroy verpackte den Kerzenständer in Papier, um das er eine Schnur wickelte wie um ein Stück Fleisch. »Wenn Sie hinaufgehen möchten«, sagte er ungerührt, »für Sie wäre es umsonst.«
    »Danke, nein«, entgegnete der Dschinn. Er nickte ihm zum Abschied zu und ging.
    Draußen steckte er den Kerzenständer in die Manteltasche, rollte sich eine Zigarette und blickte zu den Fenstern des Bordells hinauf.
Das
, so entschied er, war etwas, wofür er nie und nimmer zahlen würde. Das einzige Vergnügen bei der Sache wäre rein physischer Natur, und wozu dann das Ganze?
    Er hatte seine Besorgungen erledigt und beschloss die Bowery bis zum Ende zu gehen. Er kam an Tätowiersalons vorbei, an Bestattungsunternehmen, an geschlossenen Theatern und schmuddligen Cafés. Aus einem Spielcasino drang laute blecherne Musik auf die Straße. Ratten wuselten in den Rinnsteinen und verschwanden unter der Hochbahn in der Dunkelheit. Frauen mit zu stark geschminkten Gesichtern sahen sich nach Opfern um und entdeckten ihn, einen einsamen, gut aussehenden gepflegten Mann. Sie winkten ihn zu sich und blickten verärgert drein, als er weiterging, ohne stehenzubleiben.
    Plötzlich riss dem Dschinn die Geduld mit der Bowery. Es schien, als hätte sie alles Schöne des Verlangens in etwas Hässliches verwandelt.
    Er fand eine Feuerleiter und stieg hinauf, den Regenschirm unter den Arm geklemmt. Der silberne Griff stieß gegen eine Sprosse, und der Schirm wäre beinahe hinuntergefallen. Er verfluchte die Sprosse, verfluchte den Schirm, verfluchte den Umstand, auf beides angewiesen zu sein.
    Auf dem Dach drehte er

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