Golem und Dschinn: Roman (German Edition)
sich alles nur eingebildet.
Bitte, mach, dass er kommt
, bat sie lautlos die Frau in der Nische.
Sonst fange ich vielleicht an, mich für verrückt zu halten.
Der Dschinn sah zu, wie Fadwa aus dem Tempel kam und den Wasserkrug mühelos auf dem Kopf balancierte. Um sein Gewicht auszugleichen, machte sie kleine Schritte, schwang die Hüfte von einer Seite zur anderen. Eine Hand lag locker seitlich auf dem Krug, um ihn im Gleichgewicht zu halten. Alles in allem ein überaus erfreulicher Anblick. Das Wasser enthielt zudem ein Moment der Gefahr.
Er lächelte. Er hatte sein Versprechen nicht vergessen. Vielleicht, so dachte er, würde er ihr heute Nacht einen Besuch abstatten.
Ein paar Tage später, am Freitagmorgen, fand der Rabbi die Formel, um einen Golem an einen neuen Meister zu binden.
Es war eine lange, schreckliche Woche gewesen. Langsam aber sicher war er zu der unerschütterlichen Überzeugung gelangt, dass es Zeit war, die Sache zu einem Ende zu bringen, dass die Umstände und seine Gesundheit keinen Aufschub mehr duldeten. Deswegen hatte er den Familien seiner Schüler die Nachricht zukommen lassen, dass er sich eine Woche lang freinahm, um zu beten und zu fasten. (Er konnte nicht einfach sagen, dass er krank war; die Mütter hätten sonst mit Schüsseln voller Suppe vor seiner Tür gestanden.) Und wie es das Schicksal wollte, wurde aus der Lüge Wahrheit: Das Unterfangen nahm immer mehr die Form eines langen schleppenden Gebets an, und seit Mittwoch hatte er schlichtweg vergessen zu essen.
Bücher und Papiere bedeckten den Wohnzimmerboden mit einem Muster, das eher zufällig wirkte als durchdacht. Hin und wieder schlief er eine Stunde auf der Couch. Seine Träume waren ein Gedämmer aus Gebeten, Schaubildern und dem Namen Gottes. Dazwischen schwebten bekannte und unbekannte Gesichter: seine Frau, die Unsinn redete, ein alter gebeugter Mann, sein Neffe Michael, der sich vor etwas Unsichtbarem fürchtete, und der lächelnde Golem, in dessen Augen ein schreckliches Feuer brannte. Der Husten weckte ihn aus diesen Träumen, und er machte sich noch halb im Schlaf wieder an die Arbeit.
Er vermutete, dass er seiner Seele Schaden zufügte. Aber diesen Gedanken schob er beiseite. Er hatte damit angefangen, und er würde es zu Ende bringen.
Als er sich dem Ende näherte, hatte er keinen Anfall fiebriger Inspiration, sondern zählte ruhig und gründlich alles zusammen, als würde ein Buchhalter die Abrechnungen eines Jahres in Einklang miteinander bringen. Er blickte auf die kurzen Zeilen, die er unten auf eine Seite geschrieben hatte, und sah zu, wie die Tinte ins Papier sickerte. Ein Teil von ihm wünschte, er könnte stolz auf sein Werk sein. Denn trotz ihrer Kürze war die Formel ein elegantes und kompliziertes Meisterwerk. Einen Golem an einen neuen Meister zu binden, ohne ihn zu zerstören, war allein schon eine beispiellose Leistung. Doch der Rabbi war noch einen Schritt weitergegangen. Damit die Formel wirkte, musste der Golem damit einverstanden sein, dass ihm der eigene Wille genommen wurde. Das war der Kompromiss, den er mit sich selbst geschlossen hatte, die Vereinbarung, die er mit seinem Gewissen getroffen hatte. Er würde ihr nicht wie ein Mörder in einer dunklen Gasse das Leben nehmen. Er würde ihr die Entscheidung überlassen.
Sie könnte sich natürlich weigern. Oder die Frage nicht ertragen. Könnte er sie wenn nötig bezwingen? Sein übermüdeter Geist schreckte vor dem Gedanken zurück, dass er so weit gekommen war, nur um sie schließlich doch zu zerstören.
Er schaute sich um, blinzelte und zuckte zusammen: Seine Wohnung sah aus wie die Höhle eines verrückten Mystikers. Wacklig auf den Beinen sammelte er die Bücher und Papiere auf dem Boden ein. Die Bücher steckte er in seinen Ranzen, um sie nach dem Sabbat ihren Eigentümern zurückzubringen und sich zu entschuldigen. Die Papiere ordnete er zu einem Stapel, abgesehen von der letzten Seite, die er separat ablegte. Er musste sich waschen; er fühlte sich schmutzig. Draußen war ein ausnahmsweise wolkenloser Morgen angebrochen. Der Himmel jenseits des rußverschmierten Wohnzimmerfensters färbte sich saphirblau.
Er machte Feuer im Herd und stellte einen Topf mit Wasser darauf, sah sich dabei selbst wie aus der Ferne zu, nahezu amüsiert. Er erinnerte sich an diese schwebende Distanziertheit aus seinen Tagen in der Jeschiwa, an das nächtliche Lernen, als ihm schien, er würde in den Talmud eintauchen und mit ihm verschmelzen. Er
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