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Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Golem und Dschinn: Roman (German Edition)

Titel: Golem und Dschinn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Wecker
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Wasser im Trog. Dann hob sie vorsichtig den randvollen Eimer mit Milch an und trug ihn zur Feuerstelle.
    »Du verschüttest Milch«, sagte ihre Mutter. Sie arbeitete am Mahlstein, zog mit dem Arm einen Kreis nach dem anderen. Weizenmehl sickerte zwischen den beiden flachen Steinen hervor. Fadwa antwortete nicht, goss die Milch in eine gehämmerte Schale und stellte sie auf die glühenden Kohlen. Schweiß lief ihr in die Augen, und sie wischte ihn irritiert weg.
    »Du hast den ganzen Morgen keine drei Sätze gesagt«, beklagte sich ihre Mutter. »Sind deine Tage im Anzug?«
    »Alles in Ordnung, Mama«, antwortete sie gedankenverloren. »Ich habe nicht gut geschlafen, das ist alles.«
    Die Milch begann zu kochen, und sie nahm die Schale vom Feuer und rührte ein paar Löffel voll Joghurt hinein, den sie vom Frühstück zurückbehalten hatte. Dann bedeckte sie die Schale mit einem Tuch und ließ die Milch stocken.
    »Geh mit den Mädchen zur Höhle und hol noch mehr Wasser«, sagte ihre Mutter. »Wir werden es brauchen.«
    Der Weg zur Höhle schien endlos. Der leere Wasserkrug wog schwer auf ihrem Kopf. Ihre Cousinen lachten und liefen vor ihr her, spielten ein Spiel, bei dem sie versuchten, auf den Schatten der anderen zu treten, ohne dass ihnen die Krüge herunterfielen. Was sie zu ihrer Mutter gesagt hatte, stimmte: Sie hatte nicht gut geschlafen. Ihr seltsamer Besucher war in der nächsten Nacht nicht wiedergekommen und auch nicht in der Nacht danach; und jetzt, fast eine Woche später, begann sie sich zu fragen, ob sie sich die ganze Sache nicht eingebildet hatte. Aber es war ihr so anschaulich, so real erschienen; doch nach ein paar Tagen begann alles wie ein gewöhnlicher Traum zu verschwimmen.
    Würde er sein Versprechen halten und vielleicht diese Nacht zurückkommen? Oder gab es ihn gar nicht und auch kein Versprechen, das zu halten war? Wie sollte sie wissen, ob er wirklich zu ihr kam, oder ob sie nur träumte? Ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Sie schlief ein, nur um aufgeregt wieder zu erwachen und sich anschließend zu schelten, dass sie aufgewacht war. Und wenn sie wirklich schlief, träumte sie nur gewöhnlichen Unsinn.
    Die Quelle, an der der Hadid-Clan Wasser holte, entsprang in einer Höhle, die Menschen vor langer Zeit zu einem Tempel umgebaut hatten. Der Eingang war eine viereckige Öffnung in der Flanke eines Hügels. Fadwa fand, dass es aussah, als hätte ein Riese mit einem Messer die Kante des Hügels abgeschnitten. In einem unbekannten eckigen Alphabet waren Worte über den Eingang geschrieben. Sand und Wind hatten ganze Arbeit geleistet, sodass sie kaum noch zu erkennen waren. Ihr Vater hatte ihr erzählt, dass die Gestalter des Tempels aus der Welt jenseits der Wüste stammten.
Sie ziehen in jeder Epoche hier durch
, hatte er gesagt.
Sie versuchen, die Wüste zu erobern. Sie hinterlassen Zeichen, als wollten sie ihren Anspruch deutlich machen, aber dann verschwinden sie. Doch wir Beduinen harren hier aus.
    Die Luft im Inneren war kühl und feucht. In den steinernen Höhlenboden war eine Mulde gehauen; ein Spalt darin verband sie mit der unterirdischen Quelle. Zum Höhepunkt der Regenzeit trat das Wasser über die Ränder der Mulde, strömte durch die Höhlenöffnung und den Pfad hinunter. Jetzt war die Mulde halb voll. Fadwa wusste, dass die Quelle bald nur noch ein Rinnsal wäre und dann ganz versiegen würde. Sie würden von der Milch ihrer Tiere leben, bis das Wasser zurückkehrte.
    Ihre Cousinen standen am Rand und füllten ihre Krüge. Sie watete ins Wasser und sah zu, wie die dunkle Flüssigkeit in ihren Krug floss. In einer Nische oberhalb der Mulde waren Gesicht und Gestalt einer Frau in den Felsen gemeißelt. Eine Wassergöttin, hatte ihr Vater gesagt, eine Frau mit hundert Namen. Die Erbauer des Tempels hatten geglaubt, dass sie die Göttin in die Wüste gebracht hatten, während sie tatsächlich schon immer hier gewesen war. Ihr Haar umfloss sie wie Wellen. Sie starrte mit leerem heiterem Blick aus dem Felsen, da die Jahre ihre Gesichtszüge abgeschliffen hatten.
    Glaubst du, dass es sie wirklich gibt?
, hatte Fadwa ihren Vater gefragt. Und er hatte gelächelt und gesagt:
Wenn so viele andere an sie glauben, wer bin ich, um ihnen zu widersprechen?
    Ihre Cousinen spritzten einander an. Fadwa runzelte die Stirn, und watete mit ihrem Wasserkrug ein Stück weiter.
    Heute Nacht, sagte sie sich. Wenn er heute Nacht nicht käme, würde sie sich mit der Wahrheit abfinden. Dann hatte sie

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