Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Golem XIV

Golem XIV

Titel: Golem XIV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
nicht, und warum? Weil sie schon überall sind. Das heißt, nicht sie, wohl aber die Früchte ihrer Tätigkeit. Vor zwölf Milliarden Jahren, ja, damals sehr wohl, da war diese Weite tot, und in ihr entsprangen die ersten Keime von Leben auf den Planeten der ersten Sterngeneration. Doch nach dem Verstreichen von Äonen ist von jenen kosmischen Erstlingen nichts übriggeblieben. Wenn als »künstlich« gelten soll, was durch aktive Intelligenz umgeformt worden ist, dann ist der ganze uns umgebende Kosmos bereits künstlich. So freche Ketzerei ruft sofortigen Protest wach: wir wissen doch, wie »künstliche« Objekte aussehen, Erzeugnisse der Intelligenz, die sich mit instrumentalen Arbeiten befaßt! Wo wären die Vehikel, wo die Molochmaschinen, kurzum, wo wären die titanischen Technologien der Wesen, die uns angeblich umringen und die gestirnten Himmel bilden? Aber hier liegt der Fehler, den eingefahrenes Denken bewirkt, denn instrumentale Techniken benötigt – so sagt Acheropoulos – nur eine Zivilisation, die im Embryonalstadium steckt, wie die irdische. Eine Jahrmilliarden alte Zivilisation verwendet nichts dergleichen. Ihr Werkzeug ist das, was wir Naturgesetz nennen. Die Physik selbst bildet die »Maschine« solcher Zivilisationen! Und zwar nicht die fertige Maschine, keineswegs! Diese »Maschine« (die selbstverständlich nichts mit mechanischen Maschinen gemein hat) entsteht seit Jahrmilliarden, und ihr Bau, obgleich sehr weit fortgeschritten, ist noch nicht beendet!
    Die Frechheit dieser Frevelworte, ihr monströs aufwieglerischer Geschmack, verstößt das Buch einfach aus der Hand des Lesers; so ist es gewiß manch einem ergangen. Aber das war ja nur der erste Schritt auf dem Wege weiterer Abtrünnigkeiten des Autors, des größten Ketzerpropheten in der Geschichte der Wissenschaft.
    Acheropoulos liquidiert den Unterschied zwischen »Natürlichem« (dem Erzeugnis der Natur) und »Künstlichem« (dem Erzeugnis der Technik), wobei er so weit geht, den unbedingten Unterschied zwischen dem beschlossenen (juridischen) Gesetz und dem Naturgesetz aufzuheben… Er negiert das Urteil, daß die Einteilung beliebiger Objekte in solche von künstlicher und solche von natürlicher Herkunft eine objektive Eigenschaft der Welt sei. Er sieht in diesem Urteil eine grundlegende Gedankenverirrung unter dem Einfluß eines Effekts, den er als »Schließung des Begriffshorizonts« bezeichnet.
    Der Mensch kundschaftet die Natur aus – sagt Acheropoulos – und lernt von ihr sein Handeln; er guckt ihr das Fallen von Körpern ab, Blitze, Verbrennungsprozesse; die Natur ist immer der Lehrer, er selbst – der Schüler; nach einiger Zeit beginnt er geradezu die eigenen Körperfunktionen nachzuahmen. Die Biologie nimmt bei ihm Nachhilfestunden, aber auch dann noch hält er genau wie der Höhlenmensch die Natur für das Extrem an Vollkommenheit der Problemlösungen: er meint, irgendwann, irgendeinmal werde er vielleicht beinahe mit der Natur an Perfektion des Handelns gleichziehen, aber dies werde schon der Endpunkt des Weges sein. Weiter lasse sich unmöglich gehen, denn was als Atome existiere, als Sonnen, als die Körper der Tiere, oder das eigene Gehirn – das sei in der Bauart auf ewig unübertrefflich. Das Natürliche bildet also den Grenzwert der Folge von Arbeiten, die es »künstlich« wiederholen und abwandeln.
    Dies ist der Fehler in der Perspektive, beziehungsweise die »Schließung des Begriffshorizonts«, sagt Acheropoulos. Schon allein die Konzeption der »Vollkommenheit der Natur« ist eine Täuschung, so wie das Bild der am Horizont zusammentreffenden Schienen eine Täuschung ist. Die Natur kann man in allem verändern, selbstverständlich nur, wenn man über das dementsprechende Wissen verfügt; man kann die Atome steuern, und dann kann man auch die Eigenschaften der Atome abändern; man überlegt dabei besser gar nicht, ob das, was das »künstliche« Ergebnis solcher Arbeiten sein wird, sich als etwas »Vollkommeneres« erweisen werde als das, was bis dahin »natürlich« – vorhanden war. Es wird ganz einfach anders sein – dem Plan und der Absicht der handelnden Parteien gemäß; »besser«, das heißt, »vollkommener« wird es insofern sein, als es dem Vorsatz der Intelligenz entsprechend gestaltet sein wird. Aber welches »absolute Bessersein« könnte denn die kosmische Materie nach ihrer totalen Rekonstruktion aufweisen? Möglich sind »mannigfaltige Naturen«, »verschiedene Kosmen«, doch verwirklicht

Weitere Kostenlose Bücher