Golem XIV
Wissenschaften in der einhelligen Aussage zusammen, das Leben entstehe im Zuge natürlicher kosmischer Umwandlungen, und seine Evolution müßte ein allgemein verbreitetes Phänomen des Weltalls sein; und die Krönung des Stammbaums der Evolution durch die Intelligenz organischer Wesen wurde als naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeit anerkannt.
Die Wissenschaften verfertigten also das Bild eines bewohnten Kosmos, und zugleich widersprachen diesen Aussagen hartnäckig die beobachteten Tatsachen. Der Theorie nach umgaben die Erde – freilich in sternenweiter Entfernung – Mengen von Zivilisationen. Der Beobachtungspraxis nach starrte rund um uns tote Einöde. Die ersten Bearbeiter des Problems setzten voraus, daß die Entfernung zwischen zwei kosmischen Zivilisationen im Durchschnitt 50 bis 100 Lichtjahre betrage. Dieser Abstand wurde später hypothetisch auf 1000 vergrößert. In den siebziger Jahren hatte sich die Radioastronomie so vervollkommnet, daß man nach Signalen suchen konnte, die zehntausend Lichtjahre weit herkamen; doch auch dort verbreitete sich lediglich das Rauschen der Brände von Sonnen. In siebzehn Jahren beständigen Abhörens wurde daraus kein einziges Signal hervorgefischt, kein einziges Zeichen, das Grund zu der Annahme gegeben hätte, daß bewußte Absicht dahinterstehe.
Acheropoulos sagte sich damals: Die Tatsachen sind mit Sicherheit wahr, denn sie bilden das Fundament der Erkenntnis. Kann es etwa sein, daß alle Theorien aller Wissenschaften falsch sind, daß sich die organische Chemie und die Biochemie der Synthesen und die theoretische nebst der evolutionellen Biologie wie auch Planetologie und Astrophysik samt und sonders im Irrtum befinden? Nein: so sämtlich, so sehr können sie sich nicht täuschen. Ergo: die Tatsachen, die wir wahrnehmen (oder eher – nicht wahrnehmen), widersprechen offenbar den Theorien gar nicht. Vonnöten ist eine neue Umdeutung der Menge der Daten und der Menge der Verallgemeinerungen. Eben diese Synthese nahm Acheropoulos in Angriff.
Das Alter des Kosmos und seine Ausmaße mußte die irdische Wissenschaft im Laufe des 20. Jahrhunderts oftmals revidieren. Die Richtung der Änderungen war immer die gleiche: man hatte dem Universum an Dauer wie an Ausmaßen nie genug zugetraut. Als Acheropoulos an die Niederschrift der »Neuen Kosmogonie« schritt, unterlagen Alter und Größe des Weltalls gerade wieder einer Revision: das Bestehen des Kosmos schätzte man auf mindestens 12 Milliarden Jahre, seine ersichtlichen Ausmaße – auf 10 bis 12 Milliarden Lichtjahre. Nun beträgt das Alter des Sonnensystems etwa fünf Milliarden Jahre. Also gehört dieses System nicht zu der ersten Sterngeneration, die der Kosmos hervorgebracht hat. Die erste Generation entstand weit früher, eben vor etwa 12 Milliarden Jahren. In dem Zeitinvervall, das die Entstehung jener ersten Generation von dem Entstehen der Sonnen nachfolgender Altersklassen trennt, steckt der Schlüssel des Rätsels.
Es war nämlich etwas ebenso Merkwürdiges wie Spaßiges eingetreten. Die Möglichkeiten des Aussehens, der Beschäftigung, der Zielsetzungen einer Zivilisation, die sich seit Jahrmilliarden entwickelt (und just um so viel älter als die irdische müssen ja die Zivilisationen der »ersten Generation« sein!), dies konnte sich selbst in der kühnsten Einbildung niemand ausmalen. Das, was sich niemand vorstellen konnte, wurde demnach, als etwas überaus Unbequemes, vollkommen ignoriert. In der Tat hat über so langlebige Zivilisationen keiner der Bearbeiter des Problems kosmischer Psychozoika auch nur ein Wort geschrieben. Die Mutigsten sagten bisweilen, die Quasars, die Pulsars – das seien vielleicht Anzeichen von den Arbeiten der mächtigsten kosmischen Zivilisationen. Aber einfaches Rechnen zeigte, daß die Erde, bei Weiterentwicklung gemäß dem derzeitigen Tempo, die Stufe so extremer »sterntechnischer« Arbeiten innerhalb der nächsten paar tausend Jahre erreichen könnte. Was aber sollte nachher folgen? Was kann eine Zivilisation tun, die millionenmal länger besteht? Die Astrophysiker, die sich mit solchen Fragen beschäftigen, nahmen an, solche Zivilisationen täten gar nichts, da sie nicht existent seien.
Was wurde aus ihnen? Ein deutscher Astronom, Sebastian von Hoerner, behauptete, sie hätten allesamt Selbstmord begangen. Ja, so muß es wohl sein, da sie nirgends zu sehen sind! – Nicht doch – antwortete Acheropoulos. – Nirgends sind sie zu sehen? Wir gewahren sie bloß
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