Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Golem XIV

Golem XIV

Titel: Golem XIV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
Vom Netzwerk:
Glauben gegenüber höchstgradig verrucht waren, diese totale Ketzerei, dieser aus intellektuellem Mut entspringende allumfassende Frevlergeist in ihm muß die Leser sämtlich von ihm weggeekelt haben. Ich nehme an, daß er so auf das Angebot des englischen Verlegers einging, wie ein Schiffbrüchiger auf einer menschenleeren Insel eine Flasche mit einem Signal darin auf die Meereswellen hinauswirft; er wollte eine Spur seiner Idee hinterlassen, weil er ihrer Wahrheit gewiß war.
    Selbst in arg verstümmeltem Zustand, erbärmlich übersetzt und unsinnig gekürzt, ist die »Neue Kosmogonie« ein unheimliches Werk. Acheropoulos hat darin alles, absolut alles zertrümmert, was Wissenschaft oder Religion im Laufe der Jahrhunderte geschaffen haben, hat diese seine mit Bruchstücken der von ihm zermalmten Begriffe übersäte Wüstenei verfertigt, um die Arbeit nochmals von vorn zu beginnen, das heißt, um den Kosmos neu aufzubauen. Dieses grauenvolle Schauspiel löst Abwehrreaktionen aus: es gilt, den Autor für völlig rasend oder für völlig unwissend zu erklären. Seine wissenschaftlichen Titel glaubt man ihm ganz gewöhnlich nicht. Wer ihn auf diese Weise von sich stieß, erlangte das geistige Gleichgewicht wieder. Zwischen mir und allen anderen Lesern der »Neuen Kosmogonie« ergab sich nur der eine Unterschied, daß ich dies nicht tun konnte. Wer dieses Buch nicht zur Gänze, vom ersten bis zum letzten Buchstaben von sich weist, um den ist es geschehen: er kommt davon nie mehr los. Wenn irgendwo ein Mittelding mit Sicherheit ausgeschlossen ist, dann hier: Weder ein Narr noch ein Ignorant? In diesem Fall also ein Genie.
    Es fällt einem nicht leicht, einer solchen Diagnose die Zustimmung zu erteilen! Unablässig schillert der Text in der Sicht des Lesers: es ist unschwer ersichtlich, daß die Prägeform einer Fehde von Gegensätzen, eines Spiels also, das formale Gerüst jedes religiösen Glaubens ist, dem manichäische Elemente nicht völlig fehlen; und wo gäbe es Religionen, worin sie sich nicht wenigstens in Spuren vorfänden? Der Neigung und der Ausbildung nach bin ich Mathematiker; zum Physiker wurde ich durch Zutun des Acheropoulos. Für mich ist es völlig gewiß, daß sich alle Verbindungen, die ich mit der Physik hätte eingehen können, immer lose und zufällig gestaltet hätten – wenn dieser Mensch nicht gewesen wäre. Er hat mich bekehrt; ich kann sogar die Stelle in der »Neuen Kosmogonie« angeben, die dies zuwege gebracht hat. Es handelt sich um Paragraph siebzehn des sechsten Kapitels im Buch, um denjenigen, worin von dem Staunen solcher Leute wie Newton, Einstein, Jeans, Eddington die Rede ist, daß die Naturgesetze mathematisch faßbar seien, daß die Mathematik, diese Frucht reiner logischer Geistesarbeit, imstande sei, den Kosmos zu meistern. Einige dieser Großen, so Eddington, so Jeans, meinten, der Schöpfer selbst sei Mathematiker gewesen, und die Spuren dieser seiner Charakteristik könnten wir an dem Schöpfungswerk ausnehmen. Acheropoulos weist darauf hin, daß die theoretische Physik die Periode solcher Fasziniertheit bereits hinter sich hat, da bemerkt worden ist, daß die mathematischen Formalismen über die Welt entweder zuwenig oder zuviel auf einmal sagen; mithin ist die Mathematik als Annäherung an die Struktur des Universums so beschaffen, daß sie gleichsam nie gerade in den Kernpunkt, gerade ins Ziel trifft, sondern immer knapp daneben. Wir hielten diese Sachlage für vorübergehend, Acheropoulos hingegen antwortet: Es ist den Physikern nicht gelungen, eine allgemeine Feldtheorie zu schaffen, sie haben die Phänomene der Makrowelt mit denen der Mikroweit nicht zu vereinen vermocht, aber dies wird noch eintreten. Welt und Mathematik werden zur Deckung gelangen, nicht dadurch, daß der mathematische Apparat weitere Rekonstruktionen durchmachen wird, nichts dergleichen; zur Deckung wird es kommen, wenn die Schöpfungsarbeit zum Abschluß gelangt sein wird, sie ist aber noch im Gange. Die Naturgesetze sind noch nicht so, wie sie »sein sollen«; sie werden es erst, und zwar nicht durch die Vervollkommnung der Mathematik, sondern durch entsprechende Umformungen des Weltalls!
    Meine Damen und Herren, diese größte aller Ketzereien, die mir im Leben begegnet sind, die hat mich berückt. Denn was sagt nun eigentlich Acheropoulos weiter in demselben Kapitel? Nicht mehr und nicht weniger, als daß die Physik des Universums die Folge seiner – das heißt, der kosmischen – Soziologie

Weitere Kostenlose Bücher