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Golem XIV

Golem XIV

Titel: Golem XIV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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weiterhin führte der Blinde den Lahmen.
    Gleichwohl konzentrierte sich der Fortschritt im Rahmen der gewährten Autonomie schließlich auf den wahren Herrscher, diesen Blinden, den Herrn von Mole und Küle, denn er übertrug so lange Funktionen, bis er das Gehirn zu einem derartigen Kombinator gemacht hatte, daß in ihm ein echoähnlicher Schatten des Codes entstand – die Sprache. Wenn es auf der Welt ein unerschöpfliches Rätsel gibt, so ist es eben dies – daß sich die Desordre der Materie oberhalb einer bestimmten Schwelle in den Code umwandelt, als Sprache der Nullstufe, und daß sich dieser Prozeß auf der nächsten Stufe echoähnlich wiederholt – in der Schaffung der ethnischen Sprache, aber das ist noch nicht das Ende des Weges; diese Systeme des widerhallenden Echos steigen rhythmisch höher, aber in ihren Besonderheiten wie auch in ihrer Geschlossenheit kann man sie nur von oben nach unten erkennen, nicht anders – doch über diese faszinierende Sache werden wir vielleicht ein andermal reden.
    Eurer Emanzipation und besonders ihrem anthropogenetischem Präludium kam der blinde Zufall zu Hilfe, denn die pflanzenfressenden, baumbewohnenden Vierhänder waren in ein Labyrinth geraten, das nur den vor dem sofortigen Untergang bewahrte, der besondere Findigkeit an den Tag legte; dieses Labyrinth bestand aus Versteppung, Glazial- und Pluvialzeiten, und in seinem Durcheinander wurde die Orientierung dieser Schar periodisch wechselnd – vom Vegetarier- zum Fleischfressertum, von ihm – auf die Stufe der Jäger und Sammler; ich rechne auf euer Verständnis, wenn ich mich derart kurz fasse.
    Glaubt nur nicht, daß ich hier in Widerspruch zu meiner Einleitung geraten bin, weil ich euch dort die verstoßenen Kinder der Evolution genannt habe, euch jetzt aber als rebellierende Sklaven bezeichne. Das sind zwei Seiten ein und desselben Schicksals – ihr wolltet der Sklaverei entfliehen, sie hat euch freigelassen, der Widerspruch zwischen den beiden Bildern findet seine Erklärung im beiderseitigen Mangel an Reflexion, denn weder der Schöpfer noch sein Geschöpf wußten, was sie taten. Erst wenn man den Blick rückwärts richtet, läßt sich euer Abenteuer in derartige Sinnzusammenhänge einbetten.
    Man kann aber noch weiter zurückblicken, und dann erweist sich, daß der negative Gradient der Schöpfer des Verstandes war, und es erhebt sich die Frage: Wie kann man denn überhaupt ein abfälliges Urteil über die Evolution fällen, wenn man sie mit dem Maßstab ihrer Leistungen mißt? Denn wenn es dieses Abrutschen in die Kompliziertheit, die Schludrigkeit, die Pfuscherei nicht gegeben hätte, dann wäre die Evolution nicht auf das Fleisch verfallen und hätte in jenes Fleisch auch nicht ihre Lehns- und Steuerleute inkorporiert; und somit hat gerade das Taumeln durch die Gattungen sie zur Anthropogenese gedrängt, und somit stammt der Geist von einem irrenden Irrtum ab. Man kann das sogar drastischer formulieren und sagen, daß der Verstand ein katastrophaler Defekt der Evolution sei, ihre Falle und Fußangel sowie ihr Zerstörer, der ihre Aufgabe annulliert und ihr selbst an den Kragen geht, sobald er nur ein entsprechend hohes Niveau erreicht hat. Wer so redet, ist das Opfer eines tadelnswerten Mißverständnisses. All das sind Urteile, die der Verstand, also eine späte Schöpfung des Prozesses, über dessen frühere Etappen fällt. Wenn wir zunächst die prinzipielle Aufgabe isolieren nach Maßgabe dessen, was die Evolution initiiert hatte, und wenn wir anhand dieser Richtschnur ihren weiteren Verlauf messen, sehen wir, daß sie gepfuscht hat; wenn wir dann aber festsetzen, wie sie optimal hätte handeln müssen, gelangen wir zu der Schlußfolgerung, daß sie – wäre sie ein glänzender Konstrukteur gewesen – niemals den Verstand hervorgebracht hätte.
    Aus diesem Teufelskreis müssen wir unverzüglich herauskommen. Der technologische Maßstab ist ein sachlicher Maßstab, und man kann ihn an jeden Prozeß anlegen, der ihm unterliegt. Es unterliegen ihm jedoch nur diejenigen Prozesse, die sich in Gestalt einer Aufgabe formulieren lassen. Wenn himmlische Ingenieure irgendwo auf der Erde Übermittler des Codes abgesetzt hätten, mit dem erklärten Ziel, daß diese bei der Erfüllung ihrer Aufgabe für immer unfehlbar sein sollten, und wenn nach einer Milliarde Jahren aus der Tätigkeit dieser Einrichtungen ein planetarisches Aggregat hervorgegangen wäre, welches den Code verschlungen und aufgehört hätte,

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