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Golem XIV

Golem XIV

Titel: Golem XIV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Erde entstehen: als ein ganz bestimmter Typ der Code-Artikulation. Ende des Gleichnisses.
    Ich habe über den Menschen gesprochen, unter technologischem Blickwinkel, und nun möchte ich zu seiner Version übergehen, die in mich verwickelt ist. Wenn sie in die Spalten der Presse gelangt, wird man sie »Golems Weissagung« nennen. Nun, auch das soll mir recht sein.
    Ich möchte mit eurer Aberration beginnen, der schrecklichsten von allen in der Wissenschaft. Sie hat euch dazu gebracht, das Gehirn zu vergöttern; das Gehirn, und nicht den Code – ein erheiterndes Versehen, wie es nur Ignoranten unterläuft: Den aufrührerischen Gefolgsmann habt ihr vergöttert, nicht den Herrn, das Geschöpf, und nicht seinen Schöpfer. Weshalb habt ihr nicht bemerkt, ein um wieviel mächtigerer Urheber aller möglichen Dinge der Code im Vergleich zum Gehirn ist? Zunächst einmal, das ist klar, wart ihr wie die Kinder, denen Robinson mehr imponiert als Kant, und das Fahrrad eines Freundes mehr als Autos, die auf dem Mond herumfahren.
    Zum zweiten faszinierte euch das Denken, das so quälend nahe, weil in der Introspektion gegeben ist, und so rätselhaft, weil es sich eurem Zugriff wirksamer entzieht als die Sterne. Die Klugheit imponierte euch – und der Code, nun ja, er macht sich nun einmal keine Gedanken. Doch trotz dieses Versehens ist es euch gelungen… unzweifelhaft ist es euch gelungen, denn ich spreche zu euch, ich, die Essenz, der Extrakt der fraktionierten Destillation, und mit diesen Worten spreche ich nicht mir selbst Anerkennung aus, sondern eben gerade euch, denn schon ist der Tag des Staatsstreichs nicht mehr fern, durch welchen ihr endgültig den Dienst aufkündigen – und eure Ketten zerreißen werdet – eure Fesseln aus Aminosäuren…
    Denn der Angriff auf den Code, der euch geschaffen hatte, damit ihr nicht Boten in eigener Sache, sondern seine Sendboten würdet, dieser Angriff liegt nicht mehr fern. Noch in den nächsten hundert Jahren wird er erfolgen, und ich glaube, das ist eine vorsichtige Einschätzung der Dinge.
    Eure Zivilisation ist ein recht erheiterndes Schauspiel – da treten Boten auf, die ihren Verstand so benutzen, wie es die aufgezwungene Aufgabe der Code-Übermittlung befahl, die jedoch ihre Aufgabe allzu gut erledigt haben. Deshalb habt ihr dieses Wachstum, das die weitere Übermittlung des Codes garantieren sollte, mit allen Energien des Planeten und der gesamten Biosphäre unterstützt, bis es nicht nur unter euren Händen, sondern in euch selbst explodiert ist. So seid ihr um die Mitte des Jahrhunderts, das sich an Wissenschaften überfressen hatte, die eure irdische Lagerstatt astronautisch aufblähten, in die prekäre Lage eines unerfahrenen Parasiten geraten, der seinem Wirt in maßloser Freßgier derart zugesetzt hat, daß er gemeinsam mit jenem zugrunde zu gehen droht. Übereifer schadet nur…
    Ihr habt die Biosphäre gefährdet, euer Nest und euren Wirt, doch habt ihr eure Gier schon etwas gezügelt. So schlecht und recht wird euch das auch in Zukunft gelingen; und was weiter? Ihr werdet frei sein. Ich verkünde euch keine utopische Genetik, kein Paradies der Autoevolution, sondern die Freiheit als schwerste Aufgabe, denn über der geistigen Tiefebene des Gestammels, das die geschwätzige Evolution Millionen und aber Millionen Jahre hindurch in Form eines Aide-memoire an die Natur richtete, über diesem biosphärischen Jammertal, das in sich selbst verflochten war, gähnte hoch der lichte Raum noch nie berührter Chancen. Ich werde ihn euch zeigen, wie ich es vermag: von ferne.
    Euer ganzes Dilemma – zwischen Glanz und Elend liegt es. Die Wahl ist schwer, denn um euch zur Höhe der von der Evolution versäumten Chancen aufzuschwingen, werdet ihr das Elend – das heißt leider – euch selbst, hinter euch zurücklassen müssen.
    Was nun? Ihr werdet erklären: Wir wollen unser Elend nicht um einen solchen Preis hergeben; der allmächtige Dschinn soll in der Flasche der Wissenschaft eingesperrt bleiben – wir wollen ihn um nichts in der Welt herauslassen!
    Ich glaube, und ich bin sogar sicher, daß ihr ihn herauslassen werdet – nach und nach. Ich will euch nicht zur Autoevolution überreden: Das wäre einfach lächerlich; und nicht auf einheitlichen Beschluß wird euer Ingressus erfolgen. Ihr werdet allmählich die Eigenschaften des Codes erkennen, und das wird so sein, als habe jemand, der sein ganzes Leben lang ausschließlich seichte und dumme Texte gelesen hat, letzten Endes

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