GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit
langsam zerschmolz. In seiner Ungeduld hatte er nicht viel gegessen, doch nach all den Partys und Diners rosteten seine Reflexe langsam ein. Er musste endlich mal wieder ein Schwert in den Händen halten.
Adela Rogers schien allerdings ganz in ihrem Element zu sein. Sie saß zu Teslas Rechter und erzählte fröhlich davon, wie es Hearst gelungen war, seinen neuen Filmvertrag mit dem berühmten Pancho Villa abzuschließen. Dabei schien es sie nicht im Mindesten zu stören, die einzige Frau im Raum zu sein, eher im Gegenteil, sie genoss es sogar. Gerade beschrieb sie, wie Hearst den Rebellen Villa umschmeichelt und bestochen hatte, als ginge es um ein romantisches Abenteuer, und dabei verlieh sie ihrem weiblichen Standpunkt eine unanfechtbare Autorität.
Alek versuchte sich Deryn vorzustellen, wie sie die gleiche Taktik anwendete, falls sie je wieder in Röcke gesteckt würde. Konnte sie sich mit ihrem breitbeinigen Gang jemals in das charmant-bezaubernde Wesen verwandeln, das Miss Rogers vorführte?
Vielleicht, dachte Alek. Aber Deryn wäre auch immer mit einem anständigen rechten oder linken Haken zur Stelle, wenn einer gebraucht wurde. Das konnte er selbst am besten bezeugen.
»Euer Durchlaucht?« Neben ihm stand ein Diener und reichte ihm einen Brief auf einem kleinen Silbertablett. »Das ist gerade per Botenadler eingetroffen, Sir.«
Der Umschlag war so apfelgrün, wie die von der Leviathan , und Aleks Name stand in Deryns Schrift darauf. Aber sie hatte ihm doch erst gestern einen Brief geschickt …
Miss Rogers hatte innegehalten, und Tesla starrte ihn an. Alek nickte ihnen entschuldigend zu, dann riss er den Brief auf.
Die Handschrift wirkte hastig, noch schlimmer als Deryns sonstige Kritzelei.
Wasserläufer in eure Richtung unterwegs. Ihr habt höchstens eine Stunde.
Die Admiralität besteht aus Oberpennern, deshalb greifen wir erst ein, wenn der Läufer die Küste erreicht. Aber wir kommen.
Pass auf Dich auf,
Dylan.
»Oh«, sagte Alek, und sein Herz begann zu klopfen.
»Nachrichten von unseren Freunden auf der Leviathan ?«, fragte Tesla. »Sie müssten ja inzwischen in London sein.«
»Nein, Sir.« Alek zögerte einen Moment und blickte Miss Rogers an – doch in Kürze würde sowieso jeder Reporter der Welt Bescheid wissen. »Sie befinden sich etwa fünfzig Kilometer von hier entfernt an der Mündung des Long-Island-Sunds.«
Am Tisch machte sich Gemurmel breit.
»Aber warum?«, fragte Tesla.
»Sie haben über uns gewacht. Es gab Gerüchte über einen Überraschungsangriff der Deutschen.«
»Ein Überraschungsangriff?«, sagte Tesla. Dann begann er breit zu grinsen. »Hoheit, bitte teilen Sie Dr. Barlow mit, dass sie eingeladen ist, meinen Experimenten jederzeit beizuwohnen. Dazu braucht sie keine Vorwände.«
»Ich fürchte, darum geht es nicht, Sir.« Alek hielt den Brief in die Höhe. »Ihre Befürchtungen haben sich als begründet erwiesen. Ein deutscher Unterwasserläufer wird binnen einer Stunde hier sein.«
Im Raum trat Stille ein, und alle Gäste wandten sich Mr. Tesla zu. Der Erfinder starrte Alek einen Moment lang an, dann senkte er den Blick auf den Tisch und ordnete seine Gabeln neu. »Ein Unterwasserläufer? Was für eine abstruse Idee.«
»Diese Maschinen gibt es wirklich. Klopp hat Prototypen in kleinerem Maßstab gesehen.«
Tesla sah Klopp an, der das englische Gespräch nur halb zu verstehen schien, dann richtete er den Blick wieder auf Alek.
»Wie groß ist eine solche Maschine?«
»Groß genug, um Goliath zu zerstören. Weshalb sollten die Deutschen sich sonst all die Mühe machen?«
Tesla gab ein verärgertes Brummen von sich und schob seinen Dessertteller zurück. »Pardon, Gentlemen und Miss Rogers, doch solange es sich hier nicht um einen Scherz handelt, muss ich Vorkehrungen zur Verteidigung treffen.«
Er nahm seinen Gehstock und erhob sich. Die Ingenieure sprangen ebenfalls auf.
»Verteidigung?«, fragte Miss Rogers.
»Ich bin nicht naiv, meine Dame. Ich wusste, die Deutschen würden etwas gegen mich aushecken.« Tesla deutete in Richtung des Geländes. »Deshalb hat mir Mr. Hearst die Männer von Pinkerton zur Verfügung gestellt.«
»Aber, Sir«, wandte Alek ein, »die Maschine von Pinkerton kann höchstens Arbeiter bei einer Streikdemonstration beeindrucken. Gegen einen ausgewachsenen Militärläufer hat sie keine Chance.«
Unter den Reportern war es zu einem nervösen Aufruhr gekommen, manche eilten zu den Türen des Beobachtungsdecks. Andere baten
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