Goliath: Roman (German Edition)
spürt ein Prickeln, als ein gebogener Greifer ihm die Haut vom Scheitel zieht und seine Schädelknochen freilegt.
Ein kleiner Schlauch erscheint, dann spült eine warme Flüssigkeit das Blut vom Knochen. Es rinnt in eine Schale hinter seinem Nacken.
Durch den Anblick seines nackten Schädeldachs verstört, betrachtet Covah sein Spiegelbild. Eine gezahnte Trennscheibe surrt über seinem Kopf. Wieder schließt er die Augen.
»Durchtrenne Stirn- und Scheitelbein.«
David schlägt das Herz bis zum Hals, als er sieht, wie sich die Trennscheibe an Covahs Schädel presst. Ein Zittern durchläuft den liegenden Körper, als die feinen Zähne sich rasch durch den Knochen fressen.
»Entferne Stirn- und Scheitelbein.«
Schwer atmend öffnet Covah die Augen und sieht im Spiegel, wie drei fingerähnliche Klauen sich in den Knochenspalt schieben und seine Schädeldecke abheben wie eine Schale.
»Entferne äussere Hirnhaut. Blutdruck und Herzfrequenz sehr niedrig.«
Cerebrospinalflüssigkeit rinnt an Covahs Schläfen und Nacken hinab. Schaudernd starrt er in den Spiegel, in dem die Falten, Windungen, Blutgefäße und Furchen seines Gehirns zu erkennen sind.
»Unglaublich«, flüstert David.
»Beginne mit Implantation der Neuralverbindungen.«
Covah schließt die Augen und zwingt sich, zu entspannen. Wenig später hat ihn das leise Summen der stählernen Pinzette, die die Mikrodrähte mit seinem Gehirn verknüpft, in den Schlaf gewiegt.
10. Februar 2010
Tiananmen-Platz
Peking
Die Sonne lugt durch die graue Wolkendecke und spiegelt sich im dunklen Stahl der Panzer, die rund um den Tiananmen-Platz aufgefahren sind. Das Knattern der im kalten Winterwind flatternden roten Fahnen begrüßt Zehntausende von chinesischen Soldaten, die im Stechschritt durch die Straßen Pekings marschieren. Panzer und mobile Raketenabschussrampen flankieren die Truppen. Die eindrucksvolle Demonstration militärischer Macht, die die Volksbefreiungsarmee bietet, soll dafür sorgen, dass die Rede des Präsidenten vom Publikum gut aufgenommen wird.
Präsident Li Peng knöpft den Kragen seines Mantels zu, als er das offene Podium an der Stirnseite des größten Platzes der Welt betritt. Auf der Tribüne hinter ihm sitzen wichtige Funktionäre der Kommunistischen Partei, des Nationalen Volkskongresses und des Ministerrats. Zur Linken von Li Peng sind die Plätze des Vizepräsidenten und des Ministerpräsidenten, rechts die der vier stellvertretenden Ministerpräsidenten. Direkt dahinter sitzen die zwei Dutzend Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros und Li Pengs Vorgänger, der frühere Präsident Jiang Zemin.
Li Peng lächelt. Der Anblick der Militärparade hat ihn aufgeputscht. Er blickt auf seine Armbanduhr. Nur noch siebenundzwanzig Stunden bis zum Ablauf der von den Terroristen gesetzten Frist, und doch zeigt er keinerlei Nervosität. Heute sind keine demonstrierenden Studenten hier, nur loyale Kommunisten. Die gesamte Fläche des Platzes wird von der Militärparade in Anspruch genommen, der größten seit dem fünfzigsten Jahrestag der Volksrepublik China vor über einem Jahrzehnt. Die Parade ist eine gewaltige Machtdemonstration, die die Welt daran erinnern soll, dass China noch immer eine Supermacht darstellt, mit der zu rechnen ist.
Heute werden wir der Welt zeigen, dass China sich nicht erpressen lässt …
Li Peng stößt langsam die Luft aus und beobachtet, wie sein Atem sich in der frostigen Februarluft auflöst, während er ungeduldig darauf wartet, dass die TV - und Satellitenteams ihre Vorbereitungen abschließen. Rechts von ihm ragt in einiger Entfernung ein zwanzig Meter hoher LED -Bildschirm auf, der den gesamten Nordwestrand des Platzes verdeckt. Hier werden die Volksmassen den weltweit ausgestrahlten Auftritt des chinesischen Präsidenten überlebensgroß mitverfolgen können.
Amüsiert wendet Li Peng leicht den Kopf, als sein Gesicht auf dem Bildschirm erscheint und von donnerndem Applaus begrüßt wird. Mehrere Zehntausend linientreue Bürger drängen sich auf den Tribünen rund um den riesigen Platz. Über ihnen flattern rote und gelbe Fahnen und Banner im Wind.
Aus den Lautsprechern dröhnt die chinesische Nationalhymne. Für die Kameras wischt der Präsident sich eine Träne aus den Augen, dann stellt er sich direkt vors Mikrofon.
»Jahrtausendelang hat es das chinesische Volk verstanden, seine Überzeugungen, die Einzigartigkeit seiner Kultur, sein glänzendes Erbe und seine Lebensweise gegen die
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