Goliath: Roman (German Edition)
Schreibtischs. Nur den Computer hat man durch ein neueres Modell ersetzt. Sein Bildschirmschoner lässt die Worte »Willkommen daheim« aufblitzen.
Mit klopfendem Herzen tritt Gunnar ein. Gegenüber dem Arbeitsbereich steht tatsächlich das alte beige Kunstledersofa; darüber hängt eine Reihe gerahmter Fotos an der Wand. Gunnar, fünfundzwanzig Jahre alt, posiert mit seinen Kameraden von den Rangers in Badehose am Strand. Die offizielle Aufnahme bei der Abschlusszeremonie seiner Spezialausbildung, auf der er die Glückwünsche von Colonel Jackson entgegennimmt. Verschiedene Schnappschüsse aus seiner Zeit an der Penn State, in Fort Benning, am NUWC …
Plötzlich bemerkt er, dass man die Fotos sorgfältig umgruppiert hat, um zu kaschieren, dass einige nicht mehr da sind – die von ihm und Rocky. Auch das Schwarz-Weiß-Foto, das Präsident George W. Bush im Oval Office zeigt, eingerahmt von Gunnar Wolfe und Simon Covah, ist verschwunden.
Gunnar atmet aus. Er zieht die Jalousie hoch und blickt auf den Puget-Sund hinaus. Das ist nicht mehr mein Büro. Das ist nicht mehr mein Leben …
»Also, Leute«, hört er General Jacksons tiefe Stimme vom Labor her. »In zwei Stunden ist Teambesprechung. Macht euch bis dahin wieder an die Arbeit.« Der »Bear« tritt in Gunnars Büro, nicht ohne einen Blick zurückzuwerfen. »Fisch, Jensen, damit sind auch Sie gemeint. Und, Jensen, nehmen Sie das blödsinnige Ding aus der Augenbraue!«
»Ja, Sir.«
Der General schließt hinter sich die Tür. »Wir müssen miteinander reden.«
Gunnar schaut reglos aus dem Fenster.
»Wir haben viel zusammen erlebt, Junge. Da ist es höchste Zeit, dass wir mal reinen Tisch machen.« Jackson lockert seine Krawatte. »Also, ich weiß, dass du ein paar harte Jahre hinter dir hast …«
Ein paar harte Jahre? Du lieber Himmel …
»Warum hast du meine Briefe zurückgewiesen?«
»Wahrscheinlich war ich zu beschäftigt, um sie zu lesen.«
»Du meinst wohl, du warst zu wütend dazu – wütend auf dein Land, wütend auf die Army, wütend auf mich und Rocky. Das ist verständlich; schließlich hat man dich für ein Verbrechen ins Loch gesteckt, das du gar nicht begangen hast. Jetzt aber lautet die Frage: Wie geht’s weiter?«
Gunnar beißt sich auf die Zunge.
»Teufel, Gunnar, was glaubst du wohl, wie ich mich fühle? Du warst für mich wie mein eigener Sohn. Als der Richter dich verurteilt hat, hat es mir fast das Herz aus dem Leib gerissen. Rocky war ohnehin völlig vernichtet.«
Gunnar schweigt.
»Covah, dein bester Freund, hat dich in eine Falle gelockt. Er hat unser Land verraten, und jetzt hat er Tausende unschuldiger Männer und Frauen ermordet. Du warst der beste Ranger, der beste Soldat, den ich je ausgebildet habe. Ich brauche dich wieder in meinem Team. Du musst diesen Mann zur Strecke bringen.«
Gunnar fühlt seine Halsschlagader pochen. Langsam dreht er sich um und schaut dem Mann in die Augen, vor dem er mehr Achtung hat als vor jedem anderen Menschen, lebendig oder tot. »Bei allem Respekt … scheren Sie sich zum Teufel, Sir.«
Jackson reißt die Augen auf. »Wie bitte?«
»Ich hab gesagt, Sie sollen sich zum Teufel scheren, General. Haben Sie mich etwa nicht verstanden?«
Einen gefährlichen Moment lang lodern Jacksons Augen auf. Bedachtsam dreht er sich zur Seite, nimmt seine Mütze ab und holt tief Atem. Dann fährt er sich mit der Hand durch den dunkelbraunen Afro. Sein Blutdruck ist noch immer am Siedepunkt. »Was ist eigentlich mit Ihnen geschehen?«, fragt er ruhig.
Gunnar gibt keine Antwort.
»Es geht doch nicht nur darum, dass Sie im Bau gesessen haben; es hat sich vorher schon zusammengebraut, stimmt’s?«
Gunnar starrt aus dem Fenster.
»Ich hab Sie was gefragt, Captain«, knurrt der »Bear«.
Gunnar stößt heftig die Luft aus, während er sich die Worte einer Rede ins Gedächtnis ruft, die er schon tausendmal geprobt hat: »Ich hab es einfach sattgehabt – die Heuchelei, die Politik, die ganze Menschheit. Es klebt so viel Blut an meinen Händen, da hatte ich einfach genug.«
»Was meinen Sie mit Heuchelei?«
»Die Art und Weise, wie man die moderne Kriegführung darstellt. Die Heuchelei, Soldat zu sein; und den ganzen politischen Bockmist, der die Wahrheit verschleiert. Mein halbes Leben habe ich meine Haut zu Markte getragen – bei Einsätzen, die nicht das Mindeste bewirkt haben, weil ich immer nur Handlanger töten musste, statt die wahren Mörder zu verfolgen.«
Gunnars Stimme wird
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