Goliath: Roman (German Edition)
Spiegelbild in seiner stählernen Wange sehen kann.
»Sie dienen schon so viele Jahre in den Streitkräften, Commander, aber einen echten Krieg haben Sie noch nie miterlebt, oder? Wie Ihre militärischen Führer sind Sie geradezu verliebt in die scheinbar unblutigen Feldzüge der heutigen Technologie. Wie einfach ist es doch, Raketen und Bomber zu bauen, wenn man sich nicht um die Gräuel kümmern muss, die diese ›Investitionen‹ anrichten. Man drückt einen Knopf, wirft eine Splitterbombe ab und liest am nächsten Tag in der Zeitung darüber. Seit fast hundertfünfzig Jahren hat es in Ihrem Land keinen Krieg mehr gegeben. Sie haben nie erlebt, wie verbranntes Menschenfleisch riecht, sind nie durch ein Massengrab gekrochen, um zwischen verkohlten Knochen und Fetzen verwesender Glieder nach den Überresten eines geliebten Menschen zu suchen. Sie mussten nie hilflos wie ein Säugling zusehen, wie man Ihre Familie vor Ihren Augen totgeprügelt hat.« Tränen glänzen in Covahs Augen und verschleiern seinen starren Blick. »Sie hat man nie gezwungen, zuzuschauen, wie Ihr geliebtes Kind geschändet und ermordet wurde …« Covah schließt die Augen und atmet pfeifend durch die zusammengebissenen Zähne, offenbar, um seinen Gram mit Wut zu löschen.
Zu Gunnar gewandt, nimmt der weißhaarige Mann den Faden auf. »Mr. Wolfe, für Sie als Amerikaner sind diese Dinge schwierig zu verstehen. In meiner Heimat haben die Serben ganze Familien wie Vieh abgeschlachtet. Das waren keine militärischen Aktionen, sondern bewusste Racheakte, eine von Milošević persönlich befohlene ethnische Säuberung, die weit über die brutalste militärische Taktik hinausging. Mein Name ist Tafili; früher lebte ich mit meiner Familie in Kapasnica, bis die Frenkijevci dort einfielen, eine paramilitärische Einheit im Dienst der Geheimpolizei. Wir nannten sie die Rotmützen. Die Belgrader Militärs haben sich ihrer bedient, um uns aus unseren Ortschaften zu vertreiben. Sie hatten den Auftrag, unsere Häuser in Brand zu stecken und jeden Einwohner, der sich weigerte, seine Heimat zu verlassen, auf möglichst brutale Weise umzubringen. Leider fanden sie großen Gefallen an ihrer Arbeit. Am Ende wurden ganze Familien zusammengetrieben und abgeschlachtet.«
Tafili schüttelt den Kopf. »Im Ausland hört man von solchen Gräueltaten und fragt sich ungläubig, wie sich Menschen so grausam gegen andere verhalten können. Ist dann ein Waffenstillstand ausgehandelt, weicht das Entsetzen der Langeweile. Aber die Überlebenden … wir sind gezwungen, für immer mit diesem Schrecken weiterzuvegetieren. Was der Rest der Welt nicht sieht, sind die unsichtbaren Wunden – die Seelenqualen, die Depression. Man kann nicht einfach die Scherben aufsammeln und weitermachen, wenn die eigene Familie ermordet worden ist. Man kann nicht einfach den Blick abwenden, wenn die Schuldigen weiterhin frei herumlaufen. Das ganze Leben … jeder Gedanke ist für immer gezeichnet. Ist man aus dem Albtraum erwacht, denkt man nur noch an …«
»… Rache.« Covah ist aufgestanden. »Der Onkel meiner geliebten Frau hat völlig recht. Als ich halb tot im Krankenhaus lag, habe ich Tag und Nacht gespürt, wie mein Blut vor Zorn kochte. Sobald ich wieder gehen konnte, hat Tafili mich abgeholt. Wir haben uns der UCK angeschlossen, wo man uns mit Maschinengewehren ausgerüstet und einem Killerkommando zugeteilt hat. In der ersten Nacht hat unser Anführer uns zum Haus eines Mannes gebracht, eines Panzerkommandanten, der viele Angehörige meiner Frau ermordet hatte. Wir haben den Schlächter strampelnd und schreiend aus seinem Bett gezerrt und ihn auf der Schwelle seines Hauses totgeschlagen.«
Covah hält inne und massiert sich die Stirn, deutlich nach Fassung ringend. »Als ich an dieser Bestrafung teilnahm, sah ich durch eines der Fenster des Hauses ein Kind, ein kleines Mädchen, vielleicht ein paar Jahre älter als meine jüngste Tochter. Sie hat mich angeschaut wie ein verirrtes, eingeschüchtertes Lamm … ein Engel wie meine eigenen toten Kinder.«
Covah schließt die Augen. »Der Blick in den Augen dieses Kindes hat sich in meine Seele eingebrannt. Mein sinnloser Racheakt hatte sie ihres Vaters und ihrer Unschuld beraubt. In diesem Augenblick ist mir klar geworden, dass ich zu keiner Heilung beitrug, sondern ein Teil der Krankheit geworden war, einer Krankheit, die sich vom Hass nährt. Da ist etwas in mir geschehen. Ich war mit Abscheu vor der Menschheit erfüllt und
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