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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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aus der Verantwortung entlassen, sobald die Giftfässer ihr Betriebsgelände verlassen haben. Die anderen sind in die illegalen Machenschaften unmittelbar involviert, sie entsorgen ihren Müll selbst. Doch die einen wie die anderen sind auf die Dienste von Stakeholdern angewiesen, die ihnen Transportfirmen vermitteln, den Standort einer Deponie zeigen und ihnen behilflich sind, die Gefährlichkeit einer Giftmülladung herunterzustufen. Das Büro des Stakeholders ist sein Auto. Mit Hilfe von Handy und Laptop verschiebt er Hunderttausende Tonnen Abfall. Er ist prozentual an den Verträgen beteiligt, die er mit den Unternehmen abschließt, berechnet nach Kilogramm Gewicht des zu entsorgenden Mülls. Die Preisliste der Stakeholder ist variabel. Die Entsorgung von Lösungsmitteln durch einen Clan, mit dem der Stakeholder zusammenarbeitet, kostet zwischen zehn und dreißig Cent pro Kilo, Phos-phorpentasulfld einen Euro pro Kilo. Straßenkehricht kostet fünfundfünfzig Cent pro Kilo; Verpackungen, die gefährliche Rückstände enthalten, einen Euro vierzig Cent pro Kilo; kontaminierte Erde bis zu zwei Euro dreißig Cent pro Kilo; Inertstoffe (Erde und Steine) vom Friedhof fünfzehn Cent pro Kilo; nichtmetallischer Autoschrott einen Euro fünfundachtzig Cent pro Kilo, alles einschließlich Transport. Diese Preisangebote berücksichtigen naturgemäß die Wünsche der Kunden und die Besonderheiten des Transports. Die von den Stakeholdern gemanagte Abfallmenge ist gigantisch, die Gewinnspanne märchenhaft.
    Wie die »Operation Houdini« von 2004 zeigte, wurden von einer einzigen Aufbereitungsanlage in Venetien rund zweihunderttausend Tonnen Abfall pro Jahr illegal verschoben. Der Marktpreis für die ordnungsgemäße Beseitigung von Giftmüll variiert zwischen einundzwanzig und zweiundsechzig Cent pro Kilo; denselben Service bieten die Clans schon für neun bis zehn Cent pro Kilo an. Im Jahr 2004 konnten die kampanischen Stakeholder die Entsorgung von achthundert Tonnen mit Kohlenwasserstoffen konta min ierter Erde für nur fünfundzwanzig Cent pro Kilo anbieten, einschließlich Transport. Für die Chemiefirma eine Ersparnis von achtzig Prozent gegenüber dem gängigen Marktpreis.
    Die eigentliche Stärke der Stakeholder, die mit der Camorra zusammenarbeiten, liegt darin, daß sie ein Gesamtpaket anbieten, während die Vermittler der legalen Müllentsorgung sehr viel höhere Preise verlangen und der Transport nicht inbegriffen ist. Trotzdem werden die Stakeholder fast nie in einen Clan aufgenommen. Es bringt nichts. Die Nichtmitgliedschaft ist für beide Seiten vorteilhafter, denn auf diese Weise können die Stakeholder für verschiedene Familien tätig werden, als Liberos gewissermaßen, ohne militärische Verpflichtungen einzugehen oder bestimmten Zwängen unterworfen zu sein. Im Zuge von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wird zwar immer jemand geschnappt, aber die Strafen fallen gering aus, weil eine direkte Verbindung nur schwer nachweisbar ist. Schließlich sind sie am Prozeß der kri min ellen Müllentsorgung auf keiner Ebene offiziell beteiligt.
    Mit der Zeit lernte ich, die Welt mit den Augen des Stake-holders zu sehen. Eine völlig andere Sicht als die des Bauunternehmers. Der Bauunternehmer will eine Lücke schließen und leeres Gelände bebauen, der Stakeholder will in diesem Gelände etwas ausleeren.
    Wenn Franco unterwegs war, hatte er keinen Blick für die Landschaft, ihn interessierte nur, wie er in ihr etwas unterbringen konnte. Sie war für ihn gewissermaßen ein riesiger Teppich mit Bergen und Tälern, und er suchte einen Zipfel, den man hochheben konnte, um möglichst viel darunterzukehren. Einmal bemerkte Franco eine aufgegebene Tankstelle, und sein erster Gedanke war, daß man da, wo die unterirdischen Tanks gewesen waren, jede Menge kleine Fässer mit chemischem Abfall unterbringen konnte. Ein perfektes Grab. Und das war sein Leben: die unablässige Suche nach dem leeren Raum. Später gab Franco seinen Job als Stakeholder auf, er fuhr nicht mehr elend lange Strecken mit dem Auto, um sich, ein gefragter Mann, bei den Unternehmern im Nordosten Italiens vorzustellen. Franco stellte einen Berufsbildungskurs auf die Beine. Seine wichtigsten Schüler waren die Chinesen. Sie kamen aus Hongkong. Die Stakeholder aus Fernost hatten von ihren italienischen Kollegen gelernt, mit den Firmen überall in Europa ins Geschäft zu kommen und attraktive Preise und effiziente Lösungen anzubieten. Als in England die

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