Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
vierzig mit Müll beladene Lkws vom Norden in den Süden, wo Kadmium, Zink, Lackrückstände, Klärschlämme, Plastikmüll, Arsen, Blei und Abfälle aus Stahlwerken abgeladen, vergraben, weggekippt und verscharrt wurden. Die Nord-Süd-Trasse war die bevorzugte Route der illegalen Entsorger. Viele Firmen aus Venetien und der Lombardei hatten sich mit Hilfe der Stakeholder ein bestimmtes Territorium in den Provinzen Neapel und Caserta ausgesucht und in eine riesige Müllkippe verwandelt. In den vergangenen fünf Jahren wurden in Kampanien rund drei Millionen Tonnen Müll unterschiedlichster Herkunft illegal entsorgt, eine Million davon allein in der Provinz Caserta. Die Provinz Caserta ist im »Regulierungsplan« der Clans als Müllkippe ausgewiesen.
Der Toskana, wo Umweltschutz besonders großgeschrieben wird, fällt bei der illegalen Müllentsorgung eine Schlüsselrolle zu. Hier laufen einige der Fäden des illegalen Transports zusammen, von der Produktion bis zur Vermittlung. Das belegen drei Untersuchungen: die Operation »Re Mida«, die Operation »Mosca« und die Operation »Agricoltura biologica« aus dem Jahr 2004.
Aus der Toskana stammen nicht nur gewaltige Mengen illegal entsorgten Mülls, diese Region ist geradezu die Operationsbasis für eine ganze Reihe von Beteiligten an diesem kriminellen Kreislauf: für die Stakeholder, die die Entsorgung vermitteln, die Chemiker, die falsche Papiere ausstellen, und die Eigner der Kompostierungsfirmen, die die Beimischung giftiger Substanzen zulassen. Aber das Territorium des Giftmüllkreislaufs dehnt sich immer mehr aus. Weitere Ermittlungen haben gezeigt, daß längst auch Umbrien und das Molise betroffen sind, die bisher als »immun« galten. Im Rahmen der Operation »Mosca«, im Jahr 2004 von der Staatsanwaltschaft Larino durchgeführt, wurde bekannt, daß hier hundertzwanzig Tonnen Sondermüll aus der metallverarbeitenden und der Stahlindustrie illegal entsorgt wurden. Darüber hinaus wurden dreihundertzwanzig Tonnen alter Straßenbelag mit extrem hoher Teerdichte hierhergeschafft. Dieser Straßenaufbruch wurde zerkleinert, von einer Kompostierungsfirma mit Erde vermischt und dann in umbrischem Boden versenkt. Immer neue Metamorphosen, die ihrerseits wieder gewaltige Gewinne garantieren. Nicht genug, daß man den Giftmüll irgendwo vergrub, man konnte ihn auch in Düngemittel umwandeln und verdiente abermals beim Verkauf der giftigen Substanzen. Vier Hektar Ackerland an der Küste des Molise wurden auf diese Weise mit Substanzen gedüngt, die aus Gerbereiabfällen sta mm ten. Die neun Tonnen Weizen, die auf diesen Feldern geerntet wurden, wiesen eine extrem hohe Chromkonzentration auf. Die illegalen Entsorger hatten sich für die Beseitigung von Sondermüll und gefährlichen Abfällen aus Betrieben Norditaliens den Küstenstreifen zwischen Ter-moli und Campomarino ausgesucht. Den Ermittlungen zufolge, die in den vergangenen Jahren von der Staatsanwaltschaft Santa Maria Capua Vetere durchgeführt wurden, ist jedoch Venetien das eigentliche Zentrum der Giftmüllaufbereitung. Seit Jahren nehmen die Giftmülltransporte innerhalb Italiens von hier ihren Ausgang. Die Gießereien im Norden entsorgen ihre Abfälle, ohne irgendwelche Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Sie vermischen sie mit Kompost, mit dem dann Hunderte von Feldern gedüngt werden.
Die kampanischen Stakeholder benutzen häufig die Routen des Drogenhandels, die ihnen die Clans zur Verfügung stellen, um neue Giftmüllagerstätten zu erschließen. Wie die Ermittlungen im Rahmen der Operation »Re Mida« zeigten, gibt es bereits Kontakte zu Albanien und Costa Rica, um auch hier illegale Müllgeschäfte zu tätigen. Mittlerweile ist alles möglich: Müllverbringung Richtung Osten nach Rumänien, wo die Casalesen Hunderte und Aberhunderte Hektar Land besitzen; in afrikanische Länder, nach Mosambik, Somalia und Nigeria, wo die Clans ebenfalls schon seit längerem über gute Kontakte und Stützpunkte verfügen. Voller Bestürzung beobachtete ich die angespannten und besorgten Mienen von Fran-cos Kollegen, als sie die Nachricht von dem verheerenden Tsuna mi hörten. Beim Anblick der Fernsehbilder aus den betroffenen Regionen wurden die kampanischen Stakeholder kreidebleich. Man hätte meinen können, ihre Ehefrau, ihre Geliebte oder ihre Kinder wären in Gefahr. In Wirklichkeit war etwas sehr viel Wertvolleres in Gefahr: ihre Geschäfte. Die Flutwelle des Seebebens hatte Hunderte von Fässern, die mit
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