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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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Kosten für die Müllentsorgung in die Höhe schossen, traten die chinesischen Stakeholder auf den Plan, die in Kampanien in die Schule gegangen waren. Im März 2005 entdeckte die holländische Hafenpolizei in Rotterdam tausend Tonnen Siedlungsabfall aus englischen Städten, der offiziell als recyclingfähiges Altpapier deklariert war und nach China verschifft werden sollte. Jahr für Jahr wird eine Million Tonnen Elektroschrott aus Europa nach China verbracht und in Guiyu nordöstlich von Hongkong abgeladen. Unter der Erde vergraben, in künstlichen Seen versenkt. Wie in der Provinz Caserta. Guiyu wurde derart schnell verseucht, daß inzwischen sogar das Grundwasser vergiftet ist und Trinkwasser in Tankwagen aus den benachbarten Provinzen herangeschafft werden muß. Der Traum der Stakeholder Hongkongs ist es, den Hafen von Neapel zur Drehscheibe für den Müll aus ganz Europa zu machen, zu einer schwi mm enden Sammelstelle, wo der Müll, so wertvoll wie Gold, in Container verladen und zur Endlagerung nach China verschifft werden kann.
    Die kampanischen Stakeholder waren die allerbesten, sie schlugen die kalabresische, apulische und römische Konkurrenz aus dem Rennen, weil die Clans ihnen dabei halfen, die Deponien Kampaniens zu absoluten Dumpingpreisen mit Müll zu füllen, ohne daß diese Deponien jemals voll wurden. Innerhalb der letzten dreißig Jahre wurde so gut wie alles hierhergeschafft und illegal entsorgt - mit einem einzigen Ziel: möglichst niedrige Preise und ein möglichst hohes Auftragsvolumen. Die Operation »Re Mida« (König Midas) aus dem Jahr 2003 - benannt nach dem Telefonmitschnitt eines illegalen Müllentsorgers: »In unseren Händen wird der Müll zu purem Gold« - zeigte, daß auf jeder Ebene im Kreislauf der Müllentsorgung ein profitables Geschäft gemacht wird.
    Mit Franco im Auto unterwegs, lauschte ich seinen telefonischen Ratschlägen, wie und wo Giftmüll am besten entsorgt werden konnte. Er jonglierte mit Kupfer, Arsen, Quecksilber, Kadmium, Blei, Chrom, Nickel, Kobalt, Molybdän, mit den Rückständen aus Gerbereien, mit Krankenhaus abfallen, Siedlungsmüll und Altreifen. Er legte dar, wie man mit diesem Müll am besten verfuhr, ganze Listen von Personen und Lagerstätten hatte er im Kopf. Ich dachte an die in den Kompost gemischten Giftstoffe, an die Behälter mit hochgiftigen Substanzen tief in den Eingeweiden der Landschaft. Ich wurde blaß. Franco bemerkte es.
    »Dieser Job widert dich an, stimmt’s, Robbe’ ? Aber weißt du eigentlich, daß es den Stakeholdern zu verdanken ist, wenn dieses Scheißland heute in Europa etwas gilt? Ja oder nein? Weißt du eigentlich, wie viele Arbeiter ihren Arsch gerettet haben, nur weil ich dafür gesorgt habe, daß ihre Betriebe sich nicht dumm und dämlich zahlen?«
    Franco hatte schon als Kind seine Lektion gelernt. Er wußte, daß man im Geschäftsleben entweder gewinnt oder verliert, dazwischen gibt es nichts. Und weder wollte er selbst zu den Verlierern gehören, noch wollte er, daß seine Auftraggeber zu Verlierern wurden. Aber was er sich und mir auch sagte, alle seine Rechtfertigungen waren letztlich ein einziges wildes Zahlenspiel. Es hatte nicht das geringste mit dem zu tun, was Giftmüllentsorgung für mich bis dahin bedeutet hatte. Nimmt man die Ergebnisse sämtlicher Ermittlungen zusammen, die die Staatsanwaltschaften Neapel und Santa Maria Capua Vetere von Ende der neunziger Jahre bis heute durchführten, so ergibt sich für die Unternehmen, die ihre Müllentsorgung in die Hände der Camorra legten, eine Ersparnis von rund fünfhundert Millionen Euro. Mir war klar, daß die gerichtlichen Untersuchungen nur die Spitze des Eisbergs zutage gefördert hatten, und mir schwindelte. Viele Unternehmen im Norden hatten einen wirtschaftlichen Aufschwung erreicht, der es ihnen erlaubte, Leute einzustellen und den gesamten Industriesektor des Landes für den europäischen Wettbewerb fit zu machen. Möglich wurde dies durch eine extreme Kostenminimierung bei der Abfallbeseitigung, die ihnen wie ein Klotz am Bein hing. Und bei der Lösung dieses Proble ms waren ihnen die Clans von Neapel und Caserta behilflich. Mit der kriminellen Dienstleistung, die die Scniavone, Mallardo,
    Moccia, Bidognetti, La Torre und all die anderen Familien anboten, trugen sie zum wirtschaftlichen Aufschwung und zur Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen bei. Nach Erkenntnissen, die die Fahnder 2003 im Rahmen der Operation »Cas-siopea« gewannen, fuhren wöchentlich

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