Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
gekauften Autos besonders protzig. Alles, ohne daß der kollektive Reichtum erkennbar gestiegen wäre. Ein zusammengeraubter Reichtum, mühevoll jemandem abgerungen und ins eigene Nest geschafft. Aus allen Himmelsrichtungen kamen Investoren, um Kostüme, Hemden, Röcke, Jacken, Blousons, Handschuhe, Hüte, Schuhe, Taschen und Portemonnaies für italienische, deutsche oder französische Firmen herzustellen. Seit den fünfziger Jahren brauchte man hier weder eine Betriebserlaubnis noch Arbeitsverträge oder Räume. Garagen, Treppenhäuser und Verschläge waren gut genug für eine Fabrik. Doch in den letzten Jahren hat die Konkurrenz aus China die Produzenten von mittelmäßiger Qualität vom Markt gefegt. Sie ließ den Arbeitern keine Zeit, ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Entweder gelang es auf Anhieb, bestmögliche Qualität zu liefern, andernfalls gab es immer jemanden, der auf mittlerem Niveau schneller arbeitete. Immer mehr Menschen verloren ihre Arbeit. Die Fabrikbesitzer erstickten in ihren Schulden, wurden das Opfer von Wucherern. Viele tauchten unter.
Es gibt einen Ort, der mit dem Ende dieser Lieferanten von billiger Ware aufgehört hat zu atmen, zu wachsen und zu überleben. Er symbolisiert diese Gegend. Die Häuser sind immer erleuchtet, überall sind Menschen, auch in den Höfen. Die Autos bleiben immer auf dem Parkplatz. Niemand fährt weg, wenige kommen, kaum jemand bleibt. Zu keinem Zeitpunkt leeren sich die Mietshäuser, nicht einmal morgens, wenn anderswo alle zur Arbeit oder zur Schule gehen. Hier dagegen herrscht dauernd Betrieb und Lärm von Bewohnern. Der Ort heißt Parco Verde in Caivano.
Parco Verde taucht auf, sobald man die Asse Mediano verläßt, die wie eine Klinge aus Asphalt die Peripherie von Neapel durchtrennt. Statt wie eine Siedlung wirkt der Ort eher wie eine Ansammlung von Betonklötzen, aus denen die Aluminiumveranden als Auswüchse hervortreten. Einer der Orte, bei denen der planende Architekt anscheinend an Sandburgen gedacht hat und die Häuser aussehen lassen wollte, als seien sie mit dem Eimer auf den Strand gekippt. Kahle, graue Mietskasernen. Hier steht in einer Ecke eine winzige Kapelle. Fast unsichtbar. Das war nicht immer so. Früher war die Kapelle groß und weiß. Ein richtiggehendes Mausoleum für Ema-nuele, der bei der Arbeit ums Leben gekommen ist. Eine Arbeit, die in manchen Gegenden schlimmer ist als Schwarzarbeit in der Fabrik. Aber immerhin Arbeit. Emanuele beging Raubüberfälle. Seit geraumer Zeit, immer am Samstag, jeden Samstag. Immer an derselben Straße, zur gleichen Zeit, am gleichen Tag. Denn Samstag war der Tag seiner Opfer. Der Tag der Liebespaare. Und die Staatsstraße Nr. 87 ist der Ort, wohin sich die Pärchen aus der ganzen Umgegend zurückziehen. Eine Scheißstraße voller Schlaglöcher und illegaler Müliplätze. Jedesmal, wenn ich hier vorbeikomme und die Paare sehe, denke ich, man muß wirklich seine ganze Leidenschaft aufbieten, um sich mitten in diesem Unrat wohlfühlen zu können. Genau hier versteckte sich Emanuele mit seinen beiden Freunden, sie warteten, bis das Auto des Pärchens geparkt hatte und das Licht ausging. Danach ließen sie noch einige Minuten verstreichen, bis die beiden sich ausgezogen hatten und am verwundbarsten waren. Mit dem Griff der Pistole schlugen sie das Autofenster ein und hielten dem Jungen die Waffe unter die Nase. Sie raubten die Paare gründlich aus und erbeuteten so an einem Wochenende bei Dutzenden von Überfällen bis zu fünfhundert Euro: eine lächerliche Beute, die wie ein großer Schatz erscheinen kann.
Eines Nachts jedoch wurden sie von einer Streife der Carabinieri gestört. Emanuele und seine Kumpane waren so unklug, nicht vorherzusehen, daß die immer gleiche Methode der Überfälle immer in derselben Gegend der beste Weg war, um erwischt zu werden. Es gab eine Verfolgungsjagd, die Autos rammten einander, Schüsse fielen. Dann war alles still. Emanuele lag tot im Auto. Er hatte eine Pistole in der Hand und sie auf die Carabinieri gerichtet. Innerhalb weniger Sekunden durchlöcherten die ihn mit elf Kugeln. Elf Schüsse aus nächster Nähe abzugeben heißt, die Waffen schußbereit zu haben und beim geringsten Anlaß abzudrücken. Schießen, um zu töten, und meinen, es zu tun, um nicht selbst erschossen zu werden. Die anderen zwei hatten angehalten. Die Kugeln waren wie der Wind durch das Auto gepfiffen, alle von Emanueles Körper angezogen. Seine Freunde hatten versucht, die Fenster zu öffnen,
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