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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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sagen.
    Die Valmaranas jedenfalls hatten jeden Quadratmeter ihres Palazzo gnadenlos vermietet. Im Innenhof waren Tron und Bossi ganzen Mieterscharen begegnet, Mieter wieselten auch die Flure entlang, drängten sich an den Fenstern und quollen aus Türen und Treppen wie aufgehender Hefeteig. Über allem lag ein penetranter Geruch nach Kohl und gebratenem Fisch, akustisch grundiert vom Geschrei spielender Kinder und dem Hämmern und Sägen, das aus diversen, im Erdgeschoss des Gebäudes untergebrachten Werkstätten kam.
    Dazu passte, dass die privaten Räume der Valmaranas im Dachgeschoss ihres Palazzo lagen. Tron war klar, was das bedeutete. Unter dem Dach zu wohnen war für die alten venezianischen Familien die letzte Stufe vor dem endgültigen Abstieg. Danach kam der Verkauf des Palazzo.
    «Es geht um Signor Kostolany», sagte Tron.
    «Um den Kunsthändler im Palazzo da Lezze?»
    Tron nickte. «Offenbar hatte Ihr Gatte hin und wieder geschäftlichen Kontakt mit ihm.»
    «Das ist richtig. Wir haben ihm gelegentlich  Kunstgegenstände verkauft.»
    «Es gibt einen Eintrag im Terminkalender Signor Kostolanys. Demzufolge hat Ihr Gatte ihm gestern Abend einen Besuch abgestattet.» Er sah die Contessa freundlich an. «Ist das zutreffend?»
    «Ja, das ist zutreffend. Aber ich verstehe immer noch nicht, aus welchem Grund Sie hier sind,
    Commissario.»
    «Es könnte sein, dass wir Ihren Gatten bitten müssen, sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen.»
    Die Contessa Valmarana beugte sich auf ihrem  Fauteuil nach vorne und brachte ein frostiges Lächeln zuwege. «Sie meinen, er könnte etwas beobachtet haben?»
    Tron nickte höflich. «Ungefähr das wollte ich sagen.»
    «Und was könnte das gewesen sein?»
    «Er könnte den Mann gesehen haben, der Kostolany gestern Nacht ermordet hat.»
    «Kostolany ist …»
    «Ermordet worden. Jemand hat ihm eine Leder schlinge um den Hals geworfen und zugedreht.»

    «Und Sie meinen, Ercole könnte diesen Mann gesehen haben?»
    Tron nickte. «Das wäre durchaus möglich.»
    «Wenn gestern Abend etwas Außergewöhnliches  vorgefallen wäre, hätte es mir Ercole gesagt.» Offenbar konnte sich die Contessa Valmarana nicht vorstellen, dass ihr Gatte ihr irgendetwas verschwieg.
    «Vielleicht hatte er gute Gründe, über das, was gestern Nacht geschehen ist, zu schweigen.»
    «Sie sprechen in Rätseln, Commissario.»
    «Wir wissen, dass es vor drei Tagen einen Streit zwischen Kostolany und Ihrem Gatten gegeben hat.
    Und dass Ihr Gatte Kostolany im Verlauf dieses Streites damit gedroht hat, ihm den Hals umzudrehen.»
    Die Kiefermuskeln der Contessa spannten sich, aber sie zuckte mit keiner Wimper. «Und?»
    «Das Problem ist, dass Ihr Gatte damit zum Kreis der Verdächtigen gehört.»
    «Sind Sie gekommen, um ihn zu verhaften?»
    Tron schüttelte den Kopf. «Nur um ihm ein paar Fragen zu stellen.»
    Ob er erwähnen sollte, dass er mit ihrem Gatten die Schulbank gedrückt hatte? Nein, es würde keinen Unterschied machen. Nicht für sie und – falls es denn hart auf hart kommen sollte – auch nicht für ihn.
    Die Contessa Valmarana legte den Kopf in den  Nacken und richtete zwei eisige Augen auf ihn –  frostiges Licht auf frostigem Wasser. Dann erhob sie sich wortlos, ging langsam zum Fenster, und Tron sah hinter ihrem Rücken die Kuppel der Salute, in der klaren Sommerluft zum Greifen nahe. Als sie sich wieder umdrehte, klang ihre Stimme hart, fast rau.
    «Ercole hat ihn nicht getötet», sagte sie. Und dann nach einer kleinen Pause mit kaum unterdrückter Wut: «Aber er hatte allen Grund dazu.»
    «Weshalb?»
    «Ich zeige es Ihnen.»
    Die Contessa Valmarana wandte sich zu der kleinen Kommode, die neben dem Fenster stand, nahm  – nein: fetzte – einen Bogen Papier im Kanzleiformat mit einem wütenden Ruck unter einem Buch hervor und ließ das Blatt achtlos auf den Tisch trudeln, an dem Tron und Bossi Platz genommen hatten.
    Tron sah, dass es sich um eine Rötelzeichnung im Querformat handelte, auf der ein junges weibliches Modell in drei Posen abgebildet war – das Modell bückte sich, hielt in der mittleren der drei Posen eine Amphore in der Hand. Die Zeichnung war von au ßerordentlicher Qualität, und Tron war sich sicher, dass er dieses Motiv – drei sich nach links neigende Grazien – bereits irgendwo gesehen hatte. Nur wo?
    Bei Alphonse de Sivry? Auf einer anderen Zeichnung oder auf einem Gemälde? War es überhaupt hier in Venedig gewesen?
    Plötzlich fiel es Tron ein. Ja,

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