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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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anschließend mit dem schwarzen Tuch. «Und die Kopie?»
    Das Wort Kopie traf den Sachverhalt nicht, aber das würde sie ihm später erklären. «Die tragen Sie in meinen Salon.»
    «Wollen Königliche Hoheit das Bild aufhängen?»
    Marie Sophie schüttelte den Kopf. «Ich will es mit auf eine Reise nehmen.» Sie nahm die Petroleumlampe von dem Betschemel und wandte sich zur Tür. «Und Sie werden mich dabei begleiten. Ich möchte einen alten Bekannten von Ihnen besuchen.»
    «Einen alten Bekannten?»
    Marie Sophie lächelte. «Signor Kostolany.»
    Orlows Augenbrauen schossen ruckartig nach  oben. «Das heißt, wir fahren …»
    Sie beendete den Satz für ihn. «Nach Venedig.»

1
    Er stieg langsam die Treppen der Ponte dei Pugni hinab, sorgsam darauf bedacht, in der Dunkelheit nicht zu stolpern. Am Fuß der Treppe wandte er sich nach links und überquerte den Campo San Barnaba mit dem schlendernden Gang eines Mannes, der kein besonderes Ziel verfolgt: ein gut, aber nicht allzu gut gekleideter Herr mittleren Alters, ein Fremder vielleicht, den es aus einem der zahlreichen Hotels in San Marco auf die andere Seite des Canalazzo verschlagen hatte und der jetzt ohne Hast auf dem Heimweg war.
    Kurz vor dem sottoportego, der vom Campo San Barnaba weiter zum Rio Malpaga führte, blieb er stehen, putzte seinen Kneifer und nahm seinen Zylinderhut vom Kopf. Dann ordnete er etwas umständlich seine Haare, wobei er unauffällig seine Umgebung musterte. Erwartungsgemäß war nicht viel zu sehen. Aus der kleinen trattoria, die der Kirche San Barnaba direkt gegenüberlag, drang ein funzeliger Lichtschein auf den Campo, schimmerte auf dem Pflaster, das noch feucht vom Regen war. Gedämpfte Stimmen waren zu hören, dann das Lachen einer Frau. Ein Mann, der entweder einen Radmantel oder einen Umhang trug, kam in der Dunkelheit auf ihn zu, bog dann aber in die Calle del Traghetto ab, und einen Moment lang warf die Ölfunzel, die unter einem Marienschrein an der Kirchenfassade brannte, einen trüben Lichtschein auf seinen Rücken. Es war höchst unwahrscheinlich, dachte er, während er sich umdrehte und in die Dunkelheit des sottoportego hineinschritt, dass ihm jemand begegnen würde, der ihn kannte. Überhaupt war alles, was in der nächsten halben Stunde geschehen würde, höchst unwahrscheinlich.
    Er überquerte die Ponte Lombardo und wandte  sich nach ein paar Schritten nach rechts in die Calle dei Cerchieri, eine schmale, kaum anderthalb Schritt breite Sackgasse, die am Canalazzo endete. Die Dunkelheit auf dem Grund der Gasse war jetzt vollkommen, aber er hatte dem Palazzo da Lezze bereits zweimal einen Besuch abgestattet, und sein Orientierungsvermögen war immer schon phänomenal gewesen. Nach dreißig Schritten, erinnerte er sich, sackte die Pflasterung der Calle dei Cerchieri einen Fingerbreit ab. Unmittelbar dahinter begann der Palazzo da Lezze, und nach weiteren zehn Schritten öffnete sich ein Durchgang, der zu zwei Höfen führte. Er würde im zweiten Hof den eisernen Glockenzug ziehen und mit schuldbewusstem Gesicht um eine Unterredung bitten. Der Rest ergab sich dann. Er hatte eine Stunde Zeit, um die Angelegenheit zu regeln – mehr, als er brauchen würde.
    Als er die Hand in die Tasche seines Gehrockes steckte, spürte er den schmalen Lederriemen mit den Holzpflöcken an seinen Fingern – die Holzpflöcke, die verhindern würden, dass ihm der Riemen aus der Hand rutschte, wenn er ihn zusammendrehte. Und das durfte nicht passieren. Denn dann würde es Geschrei geben, und er wäre womöglich gezwungen, das Rasiermesser zu benutzen, das er für den Notfall in die andere Tasche seines Gehrockes gesteckt hatte.
    Er sah auf und stellte fest, dass er zu weit gelaufen war und vor ihm bereits der Spiegel des Canalazzo schimmerte. Es hatte aufgeklart, und eine Brise, die von der östlichen Lagune kam, trieb vom Vollmond beleuchtete Wolkenfetzen über den Himmel. Einen Moment lang bewirkten die treibenden Wolken über seinem Kopf die Illusion, dass sich die Paläste auf der anderen Seite des Canalazzos in seine Richtung bewegten. Für einen Augenblick stellte er sich vor, wie die Hausfassaden plötzlich auf ihn zuschossen, das Mondlicht und das Sternenlicht verschluckten und sich wie ein Sargdeckel über ihm schlossen.
    Im Grunde, dachte er seufzend, hasste er Gewalt.
    Gewalt war so schrecklich primitiv. Aber manchmal, dachte er weiter, ließ sich ein wenig Gewalt nicht vermeiden – speziell, wenn man mit dem Rücken zur Wand

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