Gondeln aus Glas
improvisieren, war nicht der Idealfall, aber es beunruhigte ihn auch nicht sonderlich. Er hatte immer die Männer bewundert, die zu virtuoser fa-presto- Arbeit in der Lage waren.
Außerdem schnurrten riskante Unternehmen selten ab wie ein Schweizer Uhrwerk – es lief immer irgendwie auf ein Impromptu hinaus.
Von der Carmini schlug es halb fünf, als er den Campo Santa Margherita betrat. Wie er es erwartet hatte, hielt die träge Hitze des späten Nachmittags die meisten Bewohner von Dorsoduro noch in ihren Wohnungen fest, und bis auf zwei schwarz gekleidete Frauen, die gerade dabei waren, ihre Wäsche aufzuhängen, war der Campo menschenleer.
Als er den Platz überquert hatte und in den Schatten der Calle della Chiesa trat, sah er zwei kleine Kinder, barfuß und in bräunliche Lumpen gekleidet, am Fuß des abgebrochenen Campanile mit den Resten einer Wassermelone spielen. Sie erstarrten bei seinem Anblick zu einem regelrechten tableau vivant, und einen Moment lang bewunderte er die unglaublich reiche Skala von Brauntönen, Dunkelgelb und Ockertönen, in der sich die beiden Kinder präsentierten. Wer hatte diese zerlumpten Knaben gemalt, die eine Wassermelone in sich hineinstopften? Velazquez? Murillo? Und wo hatte er das Bild gesehen? In Madrid? In Paris? Ach, egal. Jedenfalls, dachte er, bestätigte der Anblick das, was Künstler von jeher wussten: dass nämlich die wahre Schönheit nicht in den Dingen liegt, sondern im Auge des Betrachters.
Er blieb stehen und warf den beiden Kindern eine Lira zu. Natürlich würden sie sich an ihn erinnern (dass ihnen jemand eine ganze Lira schenkte, dürfte nicht sehr häufig vorkommen), aber sie würden kaum in der Lage sein, ihn zu beschreiben.
Ein paar Minuten später saß er auf einer der hinteren Bänke von San Pantalon und stellte fest, dass es sich bei dem Gerüst, auf dem Pater Terenzio arbeitete, um eine erstaunlich schlampige Konstruktion aus vier hölzernen, durch Leitern verbundenen Plattformen handelte. Der ganze Turm schien weniger durch Nägel und Seile als durch Gebete zusammengehalten zu werden, und er fragte sich, ob Pater Terenzio wusste, dass er wahrscheinlich bei jedem Aufstieg sein Leben riskierte. Zwei Seile, links und rechts an den Kirchenwänden befestigt, hielten das Gerüst in der Senkrechten. Interessant war, dass das Seil auf der rechten Seite stramm gespannt war, während es auf der linken Seite durchhing. Wenn man genau hinsah, stellte man fest, dass die ganze Konstruktion eine leichte Schlagseite hatte.
Beinahe wäre er in Gelächter ausgebrochen – es war alles viel einfacher, als er gedacht hatte. Und diesmal würde es keine hässliche rote Kerbe geben, sondern nur ein paar diskrete Druckstellen, die man leicht übersehen konnte. Die außerdem kaum auffallen würden, wenn alles so ablief, wie er es sich vorgestellt hatte.
Er erhob sich langsam, und auf dem Weg zur Plattform warf er ein paar Münzen in den Opferstock, obwohl er davon überzeugt war, dass man sich die Gnade des Herrn nicht erkaufen konnte. Dann setzte er seinen Fuß auf die unterste Sprosse der hölzernen Leiter und atmete tief durch. Pater Terenzio würde gleich das Privileg haben, direkt von der Aus übung eines frommen Werkes vor den Thron des Allmächtigen gerufen zu werden.
«Glaubst du, dass Pater Terenzio die Wahrheit sagt?»
Die Principessa – der Hitze wegen nur mit einem schlichten schwarzen Leinenkleid bekleidet, das ihre Arme unbedeckt ließ – beugte sich über den Tisch, um einen Rauchschwaden wegzufächeln, der vom offenen Fenster in den Speisesalon des Palazzo Balbi-Valier wehte. Sie hatte ihren äthiopischen Diener angewiesen, drei Räucherkegel auf dem Fensterbrett zu entzünden, um die Mücken fern zu halten, aber der Abendwind, der den Rauch in den Salon blies, trieb jetzt ganze Schwärme durch das geöffnete Fenster. Und es war schwierig, im Palazzo Balbi-Valier (wo jeder Quadratzentimeter entweder aus kostspieligen Brokattapeten oder unbezahlbaren Bildern bestand) eine Fliegenklatsche zu benutzen.
«Und dass Oberst Orlow», fuhr die Principessa fort, «tatsächlich zwei Kopien bei Pater Terenzio bestellt hat?»
Tron hob den Kopf von seinen Fraises mignonnes glacées – geeiste Walderdbeeren –, von denen er bereits eine beträchtliche Portion verspeist hatte (so viel, dass ihm schon schlecht war), und machte ein ratloses Gesicht. «Bossi war fest davon überzeugt, als ich ihn vorhin auf der Questura gesprochen habe», sagte er. «Aber
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