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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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intensiv nach Terpentinöl und Patschuli. Der Terpentinölgeruch kam vom Tisch her, der Patschuliduft von Pater Terenzio.
    Selbstverständlich trug der Pater keine Soutane, sondern eine sandfarbene, von Farbklecksen übersäte Kutte, die von einer ledernen Schnur zusammengehalten wurde. Er hatte sich bei Trons Erscheinen von einem kleinen Korbstuhl erhoben und musterte seinen Besucher neugierig. «Signore?»
    In Paris, dachte Tron, würden die Beamten der sûreté jetzt – zack! – eine Marke zücken – das hatte ihm Bossi erklärt. Und dass die Marke gleich einen gewissen Schwung in die Unterhaltung brachte. Aber da die venezianische Polizei (zu Bossis Bedauern) über keine derartigen Marken verfügte, musste Tron sich darauf beschränken zu sagen: «Commissario Tron, venezianische Polizei.»
    Pater Terenzio zog einen Moment lang irritiert die (gezupften?) Augenbrauen empor. Dann lächelte er – ziemlich charmant, wie Tron fand – und sagte: «Wollen Sie meine Stampa di Torino konfiszieren und mich anschließend verhaften?» Der Pater machte eine vage Handbewegung zu einer zerknitterten Zeitung, die auf den Holzbrettern der Plattform lag.
    Tron schüttelte lächelnd den Kopf. «Ich wollte Ihnen nur ein paar Fragen stellen, Pater.»
    Die hölzerne Plattform, auf der sie standen, reichte so hoch, dass man das riesige Deckengemälde mit ausgestrecktem Arm berühren konnte. Tron registrierte erstaunt, dass die elegante Malerei Antonio Fumianis aus der Nahsicht fast grob und ungelenk wirkte. Außerdem war die Oberfläche des Bildes stark verschmutzt. An vielen Stellen hatten sich Blasen auf der Leinwand gebildet, an anderen blätterte die Farbe ab.
    «Die Blasen und die abblätternde Farbe», sagte Pater Terenzio, der Trons Blicken gefolgt war, «sind nicht das Problem. Und den Schmutz auf dem Bild können Sie leicht entfernen.»
    «Und was ist das Problem?»
    «Dass es sich bei diesem Gemälde nicht um ein Fresko handelt, sondern um ein Ölgemälde.» Pater Terenzio seufzte. «Das ganze Bild besteht aus Dutzenden an der Decke befestigten Leinwänden. Eine höchst ungewöhnliche Methode für ein Deckengemälde.»
    «Ja, und?» Tron hatte Schwierigkeiten, Pater Terenzios Ausführungen zu folgen.
    «Das Problem ist das Nachdunkeln», sagte Pater Terenzio. «Fresken werden dunkler durch Oberflä chenschmutz – diese Bilder lassen sich reinigen.
    Dann sehen selbst Wandgemälde aus dem vierzehnten Jahrhundert wieder frisch aus. Aber bei Ölgemälden wird das Öl selbst – das Bindemittel – mit den Jahren dunkler. Da können Sie noch so viel Kerzenruß und Firnis entfernen – das Bild wird immer dunkel bleiben.»

    «Und was werden Sie tun?»
    Pater Terenzio zuckte die Achseln. «Den Zustand dokumentieren und einen Kostenvoranschlag machen.» Er fischte eine Zigarette aus dem Ärmel seiner Kutte, zündete sie an und inhalierte den Rauch.
    «Aber vermutlich sind Sie nicht hier, um mit mir über das Restaurieren von Gemälden zu sprechen.»
    Tron schüttelte den Kopf. «Ich bin hier, weil ich mit Ihnen über das Kopieren von Gemälden reden wollte.»
    Jetzt sah der Pater ein wenig irritiert aus. «Wollen Sie, dass ich Ihnen ein Gemälde kopiere?»
    «Nein. Ich will mich nur nach einem Bild erkundigen, das Sie vor einem halben Jahr in Rom kopiert haben. Es geht um einen Tizian. Vermutlich erinnern Sie sich daran.»
    Pater Terenzios Gesicht wurde plötzlich ver schlossen. «Ein privater Auftrag», sagte er knapp. «Ich glaube nicht, dass es klug ist, sich daran zu erinnern.»
    «Die Königin von Neapel und Oberst Orlow halten sich in Venedig auf», sagte Tron. «Sie wissen, dass ich die Absicht habe, mit Ihnen zu sprechen.»
    Eine Mitteilung, die Pater Terenzio mit mäßigem Interesse entgegennahm. Er sagte: «Und worum geht es, Commissario?»
    «Darum, dass eine Kopie – oder vielleicht auch das Original – des Gemäldes in Venedig aufgetaucht ist.» Tron sah Pater Terenzio aufmerksam an, als er weitersprach. «Und zwar im Zusammenhang mit einem Mordfall.»

    Normalerweise reichte es aus, das Wort Mord  auszusprechen, um den Leuten eine deutliche Reaktion zu entlocken. Doch die gelangweilte Art, in der Pater Terenzio die Asche von seiner Zigarette streifte, war eine deutliche Nichtreaktion. Er sagte: «Eine Kopie oder das Original? Entschuldigen Sie, wenn ich Sie nicht ganz verstehe.»
    Der Pater hatte nicht danach gefragt, wer ermordet worden war. Aber das alles musste nichts bedeuten.
    «Die Königin», erklärte

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