Gondeln aus Glas
hatten und Bossis Verrichtungen teils fasziniert, teils gelangweilt verfolgten: Dr. Lionardo und seine beiden Gehilfen, zwei Sergentes von der Nachtschicht, schließlich ein dicker Mann und eine dicke Frau in bräunlichen Kitteln.
Tron vermutete, dass es sich um den Küster und seine Frau handelte.
Der Sergente jedenfalls langweilte sich nicht. Speziell der Gebrauch des schwarzen Tuchs, unter dem sein Kopf und sein Oberkörper hin und wieder verschwanden, schien Bossi Freude zu bereiten. Er bediente es schwungvoll und mit der Virtuosität eines Zauberers, der eine Jungfrau hervorzaubert und wieder verschwinden lässt. Schließlich war die Arbeit getan, und einen Augenblick hatte Tron die Vision, dass der Sergente sich jetzt wie ein Varietédirektor verbeugen würde, um die nächste Nummer anzusagen: die dressierten Seehunde.
Doch das tat er nicht, sondern gab stattdessen wortlos die Bühne für Dr. Lionardo frei, der sich ungeduldig in Bewegung setzte. Offenbar hatte Bossi dem medico legale erklärt, dass niemand den Tatort betreten dürfe, solange die Tatortfotos noch nicht – wie drückte sich der Sergente immer aus? – im Kasten waren.
Tatortfotos? Trons Gedanken stolperten über dieses Wort wie über einen Stein. Als Sergente Valli ihn am Palazzo der Principessa abgeholt hatte, war von einem Unfall die Rede gewesen.
Bossi kam näher und salutierte. Tron sah, wie sich hinter ihm bereits Dr. Lionardo an die Arbeit machte – wie an einem Tatort. «Was ist passiert?»
«Das Gerüst ist zusammengestürzt», sagte Bossi.
«Als Signor Petrelli, der Küster, die Kirche kurz vor fünf betrat, lagen die Bretter und Balken vor dem Altar und mittendrin Pater Terenzio.»
«War sonst jemand in der Kirche?», erkundigte sich Tron.
Bossi schüttelte den Kopf. «Nein.»
Tron deutete auf die fotografischen Apparaturen, die darauf warteten, in hölzernen Kisten verstaut zu werden. «Was sollen die Aufnahmen? Fotografieren wir jetzt auch Unfälle?»
Bossi brachte es fertig, bescheiden und triumphierend zugleich zu klingen. «Ich glaube nicht, dass das hier ein Unfall war, Commissario.»
«Wie bitte?»
«Sie sagten doch, Pater Terenzio habe heute Nachmittag behauptet, dass der Oberst eine zusätzliche Kopie bestellt habe, von der die Königin nichts wusste.»
«Für diese Anschuldigung hatte Pater Terenzio keine Beweise.»
Ein Einwand, den Bossi nicht gelten lassen wollte.
«Aber wir hätten angefangen, uns ernsthaft Gedanken zu machen.»
«Und um das zu verhindern, hat Orlow den Pater getötet?»
«Es wäre ein Motiv.»
«Und was hätten wir uns für Gedanken gemacht, Bossi?»
«Wie die Kopie des Bildes nach Venedig gekommen ist, die wir auf der Karenina gefunden haben», sagte Bossi, ohne nachzudenken. Und dann ohne Pause weiter: «Ich glaube, dass Oberst Orlow diese Kopie vor zwei oder drei Monaten an Kostolany verkauft hat. Der hat sie an Troubetzkoy weitergereicht. Und als die Königin das Original an Kostolany verkaufen wollte, hatte der Oberst ein Problem.»
«Sie meinen, die Königin durfte nicht erfahren, dass Kostolany bereits kurz zuvor eine Kopie gekauft hatte?»
Bossi nickte. «Oberst Orlow musste sicher sein, dass Kostolany das Geschäft nicht erwähnen würde.»
Er überlegte kurz. «Und dafür hat Kostolany offenbar einen Preis verlangt, der Oberst Orlow zu hoch war.
Worauf Oberst Orlow ihn umgebracht hat.»
Tron sagte: «Ihre Theorie ist ziemlich dünn, Sergente. Keine geschlossene Indizienkette. Der einzige Beleg, den Sie haben, ist eine unbewiesene Behauptung von Pater Terenzio. Und das hier sieht mir eher nach einem Unfall aus.»
«Weil es so aussehen sollte.»
«Und wenn es Mord war, wie hat Oberst Orlow es gemacht?»
«Er hat Pater Terenzio zuerst niedergeschlagen und dem Gerüst dann irgendwie einen Stoß gegeben.» Bossi verstummte und sah auf einmal aus, als hielte er seine eigene Theorie für so wacklig wie das Gerüst, das Pater Terenzio in den Tod gerissen hatte.
Tron sah, dass Dr. Lionardo die Untersuchung der Leiche abgeschlossen hatte. Der dottore schloss seine schwarze Instrumententasche, erhob sich und kam auf sie zu.
«Und?» Tron blickte den medico legale erwartungsvoll an.
Dr. Lionardo streifte seine weißen Baumwoll handschuhe ab. «Sie wollen wissen, ob es ein Unfall oder ein Mord war, Commissario?»
Tron und Bossi nickten gleichzeitig.
«Die Antwort ist, ich weiß es nicht», sagte Dr. Lionardo. Er drehte den Kopf zur Seite und betrachtete den Toten mit
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