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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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im Sarg liegen können, so ausdruckslos war seine Miene. «Und das bedeutet?»
    «Es bedeutet, dass ich ein Gespräch mit Pater Terenzio führen werde», sagte Tron. «Und dass mein Sergente das Bild vorläufig auf die Questura bringt.»

19
    Von außen machte die Kirche San Pantalon mit ihrer unverkleidet gebliebenen, schmutzigen Backsteinfassade nicht viel her – ebenso wenig wie der kleine, von schlichten Häusern umschlossene Campo, an dem die Kirche lag. Man musste schon die schwere Eichentür aufstemmen, ein paar Schritte in den Mittelgang hineinlaufen – und dann den Blick auf die Decke richten. Genau das tat Tron jetzt, nachdem er seinen Zylinderhut abgenommen hatte, und wie immer fragte er sich, warum er einen gut gemalten Himmel jederzeit einem echten vorzog. Weil er sich unter gemalten Himmeln manchmal fast schwerelos fühlte, fast so wie emporgehoben? Das war natürlich albern, aber dieses Gefühl war unbestreitbar vorhanden, obgleich es schwierig sein mochte, mit anderen darüber zu reden. Mit dem Sergente zum Beispiel.
    Der hätte ihn nur verständnislos angesehen.
    Kniff man die Augen ein wenig zusammen und  kam das Licht – wie jetzt, an diesem Sommernachmittag – von der richtigen Seite, war die Illusion fast perfekt. Dann ging die reale Architektur des Kirchenraumes unmerklich in die gemalte über, in eine Scheinarchitektur von Treppen, Säulen und Bögen, die sich zu einem goldfarbenen Himmel öffnete, dessen Bestimmung es war, die Seele des Heiligen aufzunehmen. Auf der rechten Seite des riesigen Deckengemäldes saß Kaiser Diokletian gemütlich unter einem Zeltdach – der Schurke in dem Stück, das Antonio Fumiani vor zweihundert Jahren gemalt hatte und «Martyrium des heiligen Pantalon» hieß.
    Der heilige Pantalon selber wurde eingefasst von einer Aura aus Licht und scharf beobachtet von einer Rotte finsterer Henkersknechte, die ihm bereits die Folterwerkzeuge zeigten. Doch bevor Tron feststellen konnte, um welche perfiden Gerätschaften es sich handelte, musste er den Kopf in eine normale Position bringen, weil ihm schwindlig wurde. Oder hatte ihn religiöse Ergriffenheit übermannt? Nein – das war unwahrscheinlich. Jedenfalls liebte Tron den Spiegel im Mittelgang der Jesuati, durch den man dort das Deckengemälde (von Tiepolo) betrachten konnte, ohne sich den Hals zu verrenken.
    Das Gerüst, auf dem Pater Terenzio arbeitete  (Tron hörte Schlurf- und Knarrgeräusche auf der obersten Plattform), erwies sich als waghalsige Konstruktion aus vier übereinander liegenden Plattformen, die über steile Holzleitern miteinander verbunden waren. Der ganze Turm schien mit jedem Lüftchen, das durch die Kirche wehte, leicht zu schwanken. Tron bemerkte, dass die oberste Plattform vorsichtshalber mit zwei Seilen an den seitlichen Rundbogenfenstern befestigt war. Wie hoch mochte die ganze Konstruktion sein? Zehn Meter? Zwanzig Meter? Einen Sturz von der obersten Plattform würde jedenfalls niemand überleben.
    Tron, der überlegte, ob er hinaufklettern oder den Pater zu sich herabbitten sollte, trat an den Fuß der Konstruktion und formte seine Hände zu einem Trichter.
    «Pater Terenzio?»
    Gütiger Himmel – die sechs Silben explodierten wie Böllerschüsse im Kirchenraum. So laut hatte er gar nicht rufen wollen. Fing der hölzerne Turm nicht bereits an zu schwanken? Ein betendes Mütterchen, das zwei Reihen vor ihm in ihren Rosenkranz vertieft war, zuckte zusammen und warf ihm einen giftigen Blick zu. Dann sah Tron, der wieder den Kopf in den Nacken gelegt hatte, wie sich zwanzig Meter über ihm ein Gesicht über den Rand der Plattform schob, gefolgt von einem Arm, der eine einladende Bewegung machte – offenbar schien es für den Pater ganz normal zu sein, auf seinem schwankenden Turm Besucher zu empfangen.
    Oben angelangt, wo die einfallende Sonne alles mit einem leuchtenden Flor überzog, hatte Tron den Eindruck, dass Pater Terenzio sich nicht ungern bei seiner Arbeit unterbrechen ließ. Der Pater war jünger, als er ihn sich vorgestellt hatte, schlank, mit einem intelligenten, fast femininen Gesicht. Am Rand der hölzernen Plattform stand ein Arbeitstisch, auf dessen Platte sich alle möglichen Utensilien stapelten: Pinsel und kleine Messer in verschiedenen Größen, frische und benutzte Lappen, daneben eine ganze Sammlung von großen und kleinen Flaschen. Ohne dass Tron sagen konnte, warum, wirkte der Arbeitstisch Pater Terenzios wie der Schminktisch einer Theatergarderobe. Es roch

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