Gondeln aus Glas
Violettas. Kein Wunder also, dass sein Informant keinen gut situierten Herrn am Bühnenausgang des Malibran gesehen hatte. Moment mal – welcher Informant? Tron stellte fest, dass er keine Lüge erzählen konnte, ohne sofort daran zu glauben.
«Sie ist allein nach Hause gegangen», sagte Tron.
Er schickte ein beruhigendes Lächeln über den Tisch. «Es dürfte kein Problem sein, das Geschäft zu ermitteln, in dem der Strauß bestellt und ans Malibran-Theater geschickt worden ist.»
Tron fand, es sprach nichts dagegen, den Mann zur künstlerischen Abrundung der Geschichte noch einmal ins Feld zu führen. Inzwischen sah er ihn deutlich vor sich: ein kleiner, hagerer Bursche mit einem verschlagenen Gesichtsausdruck – der typische Polizeispitzel. Tron bemühte sich, pflichtbewusst und effektiv zu klingen: «Unser Informant kümmert sich bereits darum.»
Spaur griff nach einer Akte, um zu signalisieren, dass das Gespräch beendet war, aber dann fiel ihm noch etwas ein. «Commissario?»
Die Novelle, natürlich! Die junge Polin und der Schriftsteller in den besten Jahren! Sein tragischer Tod an der Cholera! Tron hatte darauf gehofft, dass dieser Kelch an ihm vorübergehen würde. Er beugte sich seufzend nach vorne. «Ja, Herr Baron?»
Doch Spaur zog die Schublade seines Schreibtisches auf und hatte plötzlich eine der Pressglasgondeln in der Hand. Er lächelte säuerlich. «Kennen Sie das hier, Commissario?»
«Das ist eine unserer Gondeln.»
«Der Name am Bug», sagte Spaur frostig, «ist unübersehbar. Toggenburg war so freundlich, mir eine zur Verfügung zu stellen.»
Tron räusperte sich. «Wir hatten einige Exemplare an die Kommandantura geschickt.»
«Einige Exemplare? Toggenburg sagt, Sie hätten die Kommandantura förmlich mit Ihren Gondeln überschwemmt. Das alles war ziemlich peinlich und herabsetzend, Commissario.»
«Was?»
«Dass Sie es offenbar nicht für nötig gehalten haben, auch an die Questura zu denken.»
«Ich könnte …»
Spaur hob ungeduldig die Hand. «Hundert Stück?»
«Kein Problem, Herr Baron.»
«Dann soll sich Sergente Bossi um die Verteilung kümmern.» Spaur runzelte die Stirn. «Was treibt der eigentlich? Ist er in der Questura?»
Tron lächelte. «Er trifft sich gerade mit unserem Informanten.»
35
Bossi war intelligent genug, die erstaunlichen Erfolge, die er in den letzten beiden Stunden erzielt hatte, weder seiner Klugheit noch seiner Intuition zuzuschreiben. Er hatte schlicht und einfach unwahrscheinliches Glück gehabt. Das war nicht ganz die Darstellung, die er dem Commissario von seinen Aktivitäten geben würde, aber im Grunde lief es darauf hinaus. Es war weder sein Verdienst, dass die Wappen von Salzburg, das Postschiff von Arcona, das überwiegend aus Rom kommende Passagiere beförderte, zufällig am heutigen Tag an der Riva degli Schiavoni lag, noch dass der Zahlmeister sich tatsächlich an einen breitschultrigen Passagier mit kantigem Gesicht erinnerte, den sie vor rund zwei Monaten befördert hatten.
Und dass er anschließend nicht länger als eine Stunde gebraucht hatte, um den Gondoliere aufzutreiben, der Oberst Orlow (der erfreulicherweise eine auffällige Erscheinung war) in eine pensione am Rio della Sensa gebracht hatte, kam – was die Wahrscheinlichkeit anbetraf – einem Hauptgewinn in der Lotterie gleich. Wenn sich in der Pensione Apollo herausstellen sollte, dass es sich bei dem Mann wahrhaftig um Oberst Orlow gehandelt hatte, war der Oberst erledigt und der Fall praktisch gelöst.
Es war kurz vor zwölf Uhr, als Sergente Bossi am Rio della Sensa aus der Gondel stieg. Obwohl er den Polizeihelm abgesetzt und die beiden obersten Knöpfe seiner Uniformjacke geöffnet hatte, rann ihm der Schweiß tröpfelnd und juckend die Wirbelsäule hinab. Die fondamenta zu beiden Seiten des Rio della Sensa waren menschenleer, und die Mauern schienen unter dem langsamen Klopfen der Hitze zu pulsieren, als wären sie lebendig.
Da Sergente Bossi als hochnäsiger Bewohner von San Polo sich Hotels in Cannaregio nur als üble Absteigen vorstellen konnte, überraschte es ihn nicht, dass die Pensione Apollo tatsächlich eine üble Absteige war. Es war ein zweistöckiges, mit ausgebleichten Coppi-Ziegeln gedecktes Gebäude, das als Hotel nur durch ein rohes Holzschild erkenntlich war, auf dem in ungelenken Buchstaben und ohne jeden Zusatz das Wort pensione stand.
Bossi stieß die grün gestrichene Tür auf, von der die Farbe in großen Streifen abblätterte,
Weitere Kostenlose Bücher