Gondeln aus Glas
und gelangte in einen niedrigen Schankraum, in dem ein halbes Dutzend Tische standen. Über einem Tresen, der auf der anderen Seite des Raumes aufgestellt worden war, hing die vorgeschriebene Lizenz, die verkündete, dass ein Signor Altieri die Erlaubnis besaß, Wein auszuschenken und Gäste zu beherbergen.
Signor Altieri musste es auch sein, der jetzt langsam hinter dem Tresen hervorkam und mit eindeutigem Gebaren des Besitzers auf Bossi zutrat. Er war ein feister, gedrungener Mann, der seine Begrüßung auf ein stummes Kopfnicken beschränkte und Bossi mit ausdruckslosen Augen anblickte – mit Augen, die aussahen wie teeriger Kaffee, in den ein paar Muskatnusskrümel gefallen waren.
«Sergente?»
Bossi lächelte. Er hatte zwar das Gefühl, dass er Signor Altieri nicht leiden konnte, aber es würde die Dinge vereinfachen, wenn er lächelte.
«Es geht um einen Mann, der vor zwei Monaten in Ihrem Hotel abgestiegen ist», sagte Bossi freundlich. Er beschrieb Oberst Orlow, seinen martialischen Schnurrbart, seine breiten Schultern, sein kantiges Gesicht, sein militärisches Auftreten. Das war leicht, jedes Kind hätte eine gute Beschreibung des Obersts abliefern können. Bossi bezweifelte, dass es mehr als ein halbes Dutzend Zimmer in der Pensione gab. Signor Altieri würde sich an Oberst Orlow erinnern.
Doch der machte nur ein bekümmertes Gesicht.
«Vor zwei Monaten? Das ist lange her. Wie kommen Sie darauf, dass dieser Mann bei mir gewohnt hat?»
«Weil ihn ein Gondoliere vor ungefähr zwei Monaten von der Riva degli Schiavoni zu Ihrer pensione gefahren hat», sagte Bossi sanft. «Der Signore ist eine ziemlich markante Erscheinung. Deshalb konnte sich der Gondoliere auch an ihn erinnern.» Er erneuerte sein freundliches Lächeln. «Sind Sie sicher, dass er nicht bei Ihnen übernachtet hat?»
Aber Altieri wiegte auf diese Frage hin nur unschlüssig den Kopf und murmelte etwas von der Unmöglichkeit, sich bei so regem Betrieb an einzelne Gäste zu erinnern. Das mit dem regen Betrieb schien Bossi allerdings ein wenig übertrieben zu sein.
Im Haus war es ebenso totenstill wie draußen auf der Fondamenta della Sensa. Entweder, dachte Bossi, litt der rege Betrieb momentan unter der Sommerhitze, oder es handelte sich bei der Pensione Apollo um ein diskretes, abseits gelegenes Stundenhotel, das sich erst abends belebte. Oder Signor Altieri hatte einen speziellen Grund, sich an diesen bestimmten Gast nicht zu erinnern.
Dank der Weisheit der kaiserlichen Behörden konnte es sich Bossi erlauben, den freundlichen Plauderton beizubehalten, in dem er mit Altieri gesprochen hatte. Auch der Commissario war im Gespräch immer sanft und höflich, und bei dem fingen die Leute meist irgendwann an zu reden. Bossi nahm seinen Polizeihelm ab und fragte: «Wo ist Ihr Gästeregister, Signor Altieri?»
Jetzt wankte Altieri ein wenig, das ganze Gewicht auf seinem Standbein versammelnd. Dann drehte er sich um, ging zu seinem Tresen zurück, zog eine Schublade auf und brachte ein graues Buch im Kanzleiformat zum Vorschein: das berüchtigte Gästeregister, das jedes Hotel im Veneto gewissenhaft führen musste, um subversiven Elementen besser auf die Spur zu kommen.
Bossi schlug das Buch auf. Er registrierte den letzten Eintrag über die behördliche Überprüfung, die vor vierzehn Tagen stattgefunden hatte – die Gästeregister wurden strengstens überprüft. Dann blätterte er zum April des Jahres und sah die drei Wörter, die Orlow das Genick brechen würden.
Denn da stand es, unter dem Datum vom 2. April 1863: Signor Farnese, Roma. Laut Vermerk hatte Orlow einen Pass der päpstlichen Behörden benutzt, vermutlich ein Blankoformular, in das er jeden beliebigen Namen eintragen konnte. Sich Farnese zu nennen war nicht gerade einfallsreich, aber vermutlich Tarnung genug. Wie hatte der Oberst seinen Venedig-Aufenthalt wohl begründet? Hatte er überhaupt etwas über dessen Anlass zu Altieri gesagt? Vermutlich, dachte Bossi, hat Orlow vorgegeben, Verwandte zu besuchen.
Die er allerdings dann bald wieder besucht haben musste. Denn Bossi, der die Seiten des Gästeregisters weiter nach hinten geblättert hatte, sah mit Erstaunen, dass Orlow drei Wochen später erneut nach Venedig gekommen war. Diesmal war er vier Tage geblieben. Bossi blätterte neugierig weiter, bis er am Ende des Buchs angelangt war. Als er die letzte Seite aufschlug, traute er zuerst seinen Augen nicht. Aber da stand es, klar zu erkennen in der deutlichen
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