Gondeln aus Glas
unverdaulichen Teile der Fischsuppe aufzunehmen: eine Gräte, ein Stückchen Flosse, eine Kieme, ein Auge. Eine dritte Gondel enthielt warme Erdbeeren, eine vierte flüssige Schlagsahne, über der ein paar muntere Fliegen kreisten: Abendessen bei den Trons.
«Alessandro sagt, die Gondeln als Kerzenhalter seien bereits letzte Woche auf dem Flohmarkt vor San Stefano aufgetaucht.» Die Contessa lächelte. «Er hat heute Nachmittag eine davon gekauft und mitgebracht.» Sie wandte sich an Alessandro, der vor der Kredenz stand und Gläser polierte. «Was hast du für die Gondel bezahlt, Alessandro?»
Alessandro neigte sein silbernes Haupt. «Zwei Lire, Signora Contessa.»
«Nicht gerade billig», bemerkte Tron.
«Der Händler meint, die Gondeln verkaufen sich glänzend», sagte Alessandro. «Es soll einen Stand am Bahnhof geben, der nur unsere Gondeln verkauft.
Mit und ohne Kerze.»
«Und die Cafés melden einen rasanten Schwund», fügte die Contessa hinzu.
«Einen rasanten Schwund?»
«Die Gäste klauen die Gondeln wie verrückt.»
«Aschenbecher sind immer geklaut worden.»
«Aber nicht in dem Ausmaß», sagte die Contessa.
«Wir haben täglich ein Dutzend Anfragen, wann wir wieder neue Gondeln liefern können.»
«Werdet ihr nachbestellen?»
Die Contessa nickte. «Ist bereits geschehen. Aber wir geben die nächste Staffel nicht umsonst ab.» Sie dachte einen Moment lang nach. «Wobei sich die Frage stellt, ob man die Produktion weiterhin diesen Franzosen überlassen sollte.»
«Du meinst, wir sollten das Pressglas in eigener Regie herstellen?»
«Vielleicht nicht nur Gondeln. Sondern auch andere einfache Glasprodukte.»
«Was sagt die Principessa dazu?»
«Sie findet es sinnvoll, darüber nachzudenken.»
Die Contessa entfernte eine Gräte (Flosse?) aus ihrem Mund und deponierte sie in der dafür vorgesehenen Gondel. «Übrigens war Leinsdorf sehr von unseren Gondeln angetan. Seine Gattin hat bereits einige Exemplare auf dem Flohmarkt erstanden.»
«Du hast mit Leinsdorf gesprochen? Wann denn?»
«Heute im Danieli », sagte die Contessa. «Zusammen mit der Principessa. Die Verträge sind unterschriftsreif. Aber Leinsdorf will den Ball abwarten.
Und die Verträge am Montag unterzeichnen.»
«Will er den Ball wegen der Königin abwarten?»
Die Contessa nickte. «Er hat die Erwartung geäu ßert, ihr auf dem Ball zu begegnen.»
«Und das bedeutet?»
«Dass wir schlechte Karten haben, wenn die Kö nigin nicht anwesend ist.» Die Contessa kniff die Augen zusammen. «Was ist mit dem Tizian?»
Tron seufzte. «Wir arbeiten daran. Im Moment sieht es so aus, als wäre Oberst Orlow der Schurke in diesem Stück. Er ist vor zwei Monaten in Venedig gewesen.
Ich habe ihn heute Nachmittag im Quadri gesprochen, und da hat ihn ein Kellner wiedererkannt. Und wenn wir Orlow nachweisen können», fuhr Tron fort, «dass er sich bereits vor acht Wochen in Venedig aufgehalten hat, wird er uns dafür eine Erklärung geben müssen. Er hat es nämlich abgestritten.»
«Was macht ihr jetzt?»
«Mit ein wenig Glück finden wir das Hotel, in dem der Oberst gewohnt hat», sagte Tron. «Dann kann er es nicht länger leugnen, und wir können ihn unter Druck setzen.»
«Du hast nur noch morgen», sagte die Contessa.
«Ich weiß.»
Tron tauchte seinen Löffel in die Fischsuppe, examinierte ihn und beförderte anschließend eine Schwanzflosse (oder eine Kieme?) in die entsprechende Gondel. Einen Moment später wunderte er sich, warum er nicht sofort darauf gekommen war.
Die Lösung lag auf der Hand. Sie war nicht besonders originell, aber sie würde funktionieren. Die Frage war, ob die Contessa sich darauf einlassen würde.
Tron sagte: «Was erwartet Leinsdorf eigentlich von der Königin? Will er mit ihr sprechen, oder ist er schon zufrieden, wenn er sie sieht? Weiß er, dass sich die Königin inkognito in Venedig aufhält?»
«Das weiß er. Leinsdorf erwartet auch nicht, der Königin vorgestellt zu werden.»
«Die vermutlich ohnehin nicht besonders lange auf dem Ball bleiben wird», sagte Tron. «Oder nicht besonders lange auf dem Ball bleiben müsste. » Er dachte kurz nach. «Weiß Leinsdorf, wie die Königin aussieht?»
«Ich glaube nicht. Woher sollte er das wissen?»
«Nun, dann könnte man …» Tron brach ab und räusperte sich.
«Könnte man was ?»
«Ich frage mich», sagte Tron, «was unter diesen Umständen der Unterschied zwischen einer echten und einer falschen Königin ist. Zumal, wenn sich die
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