Gone 4: Rache
nach, sie war zugeschlossen. Sie hatten ihn eingesperrt!
Er schlug auf das Holz ein. Aber es war ja mitten in der Nacht, das Rathaus war leer. Wer sollte ihn jetzt hören?
»Hey! Hey! Ist da jemand? Helft mir! Bitte, helft mir doch! Bitte!«
Er hämmerte weiter auf die Tür ein, während das Ding in seinem Bauch bereits einen Zentimeter weit herausragte. Er fürchtete sich davor, es anzusehen. Dann tat er es doch und fing wieder an zu schreien. Ein knirschendes Insektenmaul fraß sich nach draußen. Hakenförmige, böse Kiefer, die zuschnappten, kauten. Es schlüpfte aus seiner Haut.
»Hilfe! So helft mir doch! Lasst mich hier nicht allein!«
Aber wer sollte ihn hören? Sinder? Nein. Das war vorbei. Alles war vorbei. Er war mutterseelenallein. Es war nicht einmal jemand hier, der ihn schreien hörte. Und um sein Leben betteln.
Das Fenster. Er schnappte das Kissen von seinem Bett, hielt es gegen das Glas und drückte fest zu. Die Scheibe ging zu Bruch. Er zog einen Schuh aus und schlug damit auf die Scherben ein, bis die meisten nach unten gefallen waren.
Dann schrie er abermals um Hilfe. Schrie in die Nacht hinaus.
Keine Antwort.
»Helft mir! Bitte! Bitte, so helft mir doch! Ihr könnt mich hier nicht einfach einsperren!«
Immer noch keine Antwort.
Jetzt packte ihn die Angst. Eine so abgrundtiefe Angst, dass er dachte, verrückt zu werden.
Nein, nein, nein. Er hatte doch nichts getan, er hatte niemandem geschadet, nie etwas Schlimmes angestellt. Warum? Warum passierte ihm das?
Roscoe spürte ein Jucken im Rücken.
Er setzte sich hin und weinte.
Zwanzig
25 Stunden, 37 Minuten
Albert stierte die Seiten seines Wirtschaftsbuchs an, als enthielten sie die Lösungen für seine Probleme. In Wirklichkeit waren sie der Grund dafür. Die Spalten, in die er normalerweise die Ernte eintrug, die von den Feldern kam, die Tauben und Möwen, die Brianna fing, die Ratten, die ihm verkauft wurden, die Vögel, Waschbären, Beutelratten, Eichhörnchen und Hasen, die Hunter lieferte, sie waren alle leer geblieben.
Jetzt fiel Albert wieder ein, dass er jemanden zur Anlegestelle schicken wollte, um den Fischfang zu holen. Er hätte das längst tun sollen, aber es war ein hektischer Tag gewesen. Vielleicht konnte Jamal das für ihn erledigen. Apropos, wo war Jamal eigentlich? Er sollte bis Sonnenuntergang hier sein, inzwischen war es längst Nacht geworden.
Albert nahm sich vor, Dahra dafür zu belohnen, dass sie so rasch gehandelt hatte. Wenn Quinn und seine Leute an der Grippe erkrankten, wäre die Lage noch verzweifelter.
Über ihre Wasservorräte führte Albert separate Aufzeichnungen. Wasser in Flaschen, die in den Häusern oder Autos gefunden wurden: nichts mehr, seit Tagen. Wasser, das mit den Lastern geliefert wurde: keins mehr, seit einem Tag.
Perdido Beach war von einem Moment auf den anderen von einer sich halbwegs selbst versorgenden Stadt zu einem Katastrophengebiet geworden.
Albert blickte sich im Zimmer um. In letzter Zeit hatte sich seine angeborene Vorsicht in eine Ängstlichkeit verwandelt, die fast schon an Paranoia grenzte. Das Haus war leer, auch das Dienstmädchen war längst nach Hause gegangen. Er durfte bei dem, was er jetzt vorhatte, nicht gesehen werden, sonst hätte er großen Ärger am Hals: Er öffnete seinen Schreibtisch und holte eine Flasche Wasser heraus.
Als er den Verschluss aufdrehte, klang das Knacken in der Stille des Hauses wie ein dröhnender Schuss.
Er trank ausgiebig, verschraubte die Flasche sorgsam und versteckte sie wieder.
Dann schlug er das Wirtschaftsbuch zu. Es gab nichts einzutragen.
Da, ein Geräusch! Unverkennbar: Glas, das zu Bruch ging. Albert erstarrte. Es kam ganz aus der Nähe. Aus der Küche?
Er zögerte nur eine Sekunde lang, ehe er unter den Tisch langte. Hastig tastete er nach der Pistole, die er mit einem Klebestreifen an der Unterseite befestigt hatte.
Eine Tür ging auf. Er spürte, wie sich die Luft veränderte, und stieß seinen Stuhl zurück, um den Klebestreifen abzureißen. Aber er war zu langsam. Sie waren bereits im Zimmer.
Turk, Lance, Watcher und Raoul. Alle vier bewaffnet.
Watcher – ein stiller Elfjähriger, der beim Stehlen erwischt worden war – schlug ihm mit einer Brechstange auf die Kniescheibe.
»Aaaah!« Der Schmerz schoss sein Bein hinauf und einen Moment lang war er mit nichts anderem beschäftigt. Er hatte noch nie einen solchen Schmerz gespürt. Knöchel und Fuß brannten, als wäre er auf eine elektrische Leitung
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