Gone 4: Rache
frischen Luft, musste Edilio seinen ganzen Mut aufbringen, um sich für den nächsten Schritt zu wappnen. Er lehnte eine Leiter an die Mauer, stieg hinauf und zerrte die letzte Holzplatte mit nach oben. Wenn er jetzt abstürzte und dabei draufging, wäre das nur gerecht.
Roscoe stand am Fenster. Im fahlen Mondlicht sah sein Gesicht gespenstisch aus.
»Gibt es denn gar nichts?«, wimmerte er hilflos.
»Nicht einmal Sam kann die Dinger töten«, sagte Edilio. »Er hat es versucht. Ich kann nicht zulassen, dass sie noch mehr Leute anfallen.«
»Ja.« Roscoe nickte, die Kiefer so fest aufeinandergepresst, dass seine Zähne knirschten.
»Es tut mir so leid, Mann.« Edilio stellte die Platte auf den schmalen Sims und drückte sie ans Fenster.
»Falls ich je zu irgendwem gemein war, tut es mir leid. Bitte sag das den anderen«, drang Roscoes Stimme gedämpft nach draußen.
»Du warst zu niemandem gemein. Roscoe, du warst immer schwer in Ordnung.« Edilio zuckte zusammen, er hatte unbewusst die Vergangenheitsform gewählt.
Hastig schlug er den ersten Nagel ein. Der Hammer traf seinen Daumen. Der Schmerz war betäubend. Und darüber war er froh.
Am Ende beschloss Sam, die Nacht beim Zug zu verbringen. Sie zerlegten die Lattenkisten, entfachten ein Feuer und fühlten sich einigermaßen sicher, als die Flammen in den schwarzen Himmel züngelten.
Aus den Korbmöbeln richteten sie sich ein Lager ein, dann aßen sie Nutella und tranken Pepsi und waren den zuckersüßen Geschmack noch lange nicht leid.
Sie starrten in die Flammen, sahen den fliegenden Funken zu und hingen ihren Gedanken nach.
»Wenn wir die Leute hierherbringen, erfahren sie von den Raketenwerfern«, sagte Dekka schließlich.
»Ja«, stimmte Sam ihr zu. Mit einer Handbewegung bedeutete er ihr, leiser zu sprechen. Dabei warf er einen Blick auf Toto, der auf einer Gartenliege vor sich hin döste.
»Wir können nicht alles in die Stadt bringen. Sie müssen herkommen.«
»Hmm.«
»Mann, was wir jetzt noch brauchen, ist ein Haufen … wie heißen die noch mal?«
»M3- MAAWS «, sagte Jack, der die Betriebsanleitung im Licht des Feuers las. »Panzerabwehrhandwaffen.«
»M3s.« Sam verdrehte die Augen. »Stellt euch mal vor, die geraten in die Hände von Kindern.«
»Wir könnten sie verstecken«, schlug Dekka vor.
»Ich würde ganz sicher niemandem etwas davon erzählen«, sagte Jack, der nur halb bei der Sache war. »Ich will ja auch nicht, dass die Kids hier ankommen und meine Computer klauen.«
»Da wird dir unser neues Crew-Mitglied aber einen Strich durch die Rechnung machen«, wisperte Sam. »Ich glaube nicht, dass unser Wahrheitssager ein Geheimnis für sich behalten kann.«
Er stand auf, um noch eine Lattenkiste ins Feuer zu werfen. Das sollte die Kojoten auf Abstand halten. Er gähnte, ließ sich wieder in den Korbstuhl fallen und legte seine müden Füße auf einem niedrigen Tisch ab.
»Wisst ihr was?«, sagte Sam schließlich. »Ich vergesse ständig, dass ich keine Entscheidungen mehr treffe.« Er lachte zufrieden. »Ich erzähl Albert von den Panzerwerfern und liefere Toto bei Edilio ab. Sollen die sich darum kümmern.«
»Bombenidee, Sam«, meinte Dekka.
Sam bemerkte, dass sie ihren Bauch abtastete und mit angespannter Miene darauf herumdrückte.
»Stimmt was nicht?«, fragte er.
Dekka schüttelte den Kopf und streckte sich aus. »Ich versuch jetzt mal zu schlafen.«
Sam nickte ein. Irgendwann mitten in der Nacht wachte er auf. Das Feuer war bis auf die Glut heruntergebrannt. Dann bemerkte er Dekka, die sich vom Lager entfernt hatte und mit dem Rücken zu ihm stand. Sie hatte ihr T-Shirt hochgeschoben und tastete ihren Bauch ab.
Sam schlief wieder ein. Als er plötzlich aufschreckte, war ihm, als hätte er höchstens eine Minute geschlafen. Mittlerweile war jedoch die Glut erloschen und Dekka lag leise schnarchend auf ihrer Liege.
Da war was. Dort draußen in der Dunkelheit.
Kojoten? Sam wollte keinen Kampf – wenn er oder einer von den anderen verletzt würde, wäre es ein weiter Weg bis zu Lana.
Er hob die Hand und sogleich schwebte eine Leuchtkugel daraus hervor. Sie blieb zwei Meter über ihm stehen und tauchte den Lagerplatz in grünliches Licht. Jack und Toto schliefen noch. Dekka war aufgewacht.
»Was ist?«, zischte sie.
»Weiß nicht.« Sam deutete in die Richtung, aus der er das Geräusch gehört hatte. Dann sagte er eine Spur lauter, um sich bemerkbar zu machen, aber noch so leise, dass er die beiden anderen
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