Gone Girl - Das perfekte Opfer: Roman (German Edition)
losgetreten. Ihre Freunde, Eltern, Lehrer, alle an der Nase rumgeführt.«
»Und alles wegen dieses Jungen, ein paar Schulnoten und einer Einladung zu Thanksgiving?«
»Ungefähr einen Monat, nachdem ich wieder nach Memphis gezogen war, bekam ich einen Brief. Ohne Unterschrift, getippt, aber offensichtlich von Amy. Es war eine Liste, wann ich sie überall im Stich gelassen hatte. Verrücktes Zeug: Vergessen, nach Englisch auf mich zu warten, zweimal. Vergessen, dass ich gegen Erdbeeren allergisch bin, zweimal. «
»Himmel.«
»Aber ich glaube, der wahre Grund stand da nicht mal drauf.«
»Was war denn der wahre Grund?«
»Ich glaube, Amy wollte, dass die Leute glaubten, sie sei wirklich perfekt. Und als wir uns anfreundeten, lernte ich sie kennen. Und sie war natürlich nicht perfekt. Verstehen Sie? Sie war geistreich und charmant und all das, aber sie war auch kontrollierend und zwanghaft und eine Dramaqueen, und sie hat gelegentlich geflunkert. Was mich nie gestört hat. Sie hat mich abserviert, weil ich mitbekommen hatte, dass sie nicht perfekt war. Und deshalb bin ich Ihretwegen stutzig geworden.«
»Meinetwegen? Warum?«
»Freunde wissen um die meisten Fehler des anderen. Aber Ehepartner kriegen jede kleine Ekligkeit mit. Wenn Amy ein Mädchen, mit dem sie ein paar Monate befreundet war, damit bestraft hat, dass sie sich die Treppe runterstürzt, was tut sie dann wohl einem Mann an, der blöd genug war, sie zu heiraten?«
Ich legte auf, denn eines von Hilarys Kindern hob den zweiten Anschluss ab und begann ein Kinderlied zu singen. Aber ich rief sofort Tanner an und berichtete ihm von meinen Gesprächen mit Hilary und Tommy.
»Dann haben wir also ein paar Anekdoten, toll«, sagte Tanner. »Das ist echt großartig!« Seiner Stimme war anzuhören, dass er es ironisch meinte. »Haben Sie was von Andie gehört?«
Das hatte ich nicht.
»Ich habe einen von meinen Leuten vor ihr Haus gestellt«, sagte er. »Diskret natürlich.«
»Ich wusste gar nicht, dass Sie Leute haben.«
»Wir müssen Amy finden, unbedingt«, fuhr er fort, ohne auf meine Bemerkung einzugehen. »Ein Mädchen wie sie – ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich allzu lange versteckt halten kann. Haben Sie vielleicht irgendeine Idee?«
Ich stellte sie mir immer auf einem schicken Hotelbalkon mit Meerblick vor, eingehüllt in einen weißen Bademantel, so dick wie ein Teppich, in der Hand ein Glas sehr guten Montrachet, während sie im Internet, im Fernsehen und in der Regenbogenpresse meinen Untergang verfolgte. Und die endlosen Berichte und Loblieder über Amy Elliott Dunne genoss. Ihrer eigenen Beerdigung beiwohnte. Ich fragte mich, ob sie genug Eigenwahrnehmung besaß, um zu merken, dass sie eine Seite von Mark Twain geklaut hatte.
»Ich stelle sie mir am Meer vor«, sagte ich. Dann hielt ich inne, denn ich kam mir vor wie ein billiger Promenaden-Hellseher. »Nein, ich habe keine Ahnung. Sie könnte buchstäblich überall sein. Ich glaube nicht, dass wir sie finden, solange sie nicht selbst beschließt zurückzukommen.«
»Das scheint mir eher unwahrscheinlich«, meinte Tanner gereizt. »Versuchen wir doch, Andie zu finden, und sehen, wie sie drauf ist. Wir haben bald keinen Spielraum mehr.«
Dann war Abendessenszeit, die Sonne ging unter, und ich war wieder allein in meinem Spukhaus. Ich dachte an all die Lügen, die Amy erzählt hatte, und ob die Schwangerschaft wohl auch eine Lüge war. Ich hatte nachgerechnet. Wir hatten sporadisch Sex miteinander gehabt, es war also möglich. Aber dann würde sie auch wissen, dass ich nachrechnen würde.
Wahrheit oder Lüge? Wenn es eine Lüge war, dann in der Absicht, mich fertigzumachen.
Ich war immer davon ausgegangen, dass Amy und ich Kinder haben würden. Das war einer der Gründe, weshalb ich damals wusste, dass ich Amy heiraten wollte, weil ich mir immer vorstellte, wir würden Kinder zusammen haben. Ich erinnere mich noch daran, wie ich es mir zum ersten Mal ausmalte, keine zwei Monate, nachdem wir zusammen waren: Ich ging von meinem Apartment in Kips Bay zu einem meiner Lieblings-Miniparks am East River, ein Weg, der mich an dem gigantischen Lego-Block des UN-Hauptsitzes vorbeiführte, vor dem die Flaggen unzähliger Nationen im Wind flatterten. Das würde bestimmt einem Kind gefallen, dachte ich. Lauter verschiedene Farben, das Gedächtnisspiel, jeder Fahne ein Land zuzuordnen. Das ist Finnland, das ist Neuseeland . Das einäugige Lächeln von Mauretanien. Und dann wurde
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