Gone Girl - Das perfekte Opfer: Roman (German Edition)
nah gesehen. Sie hat Sommersprossen.
»Ach du Scheiße«, sagt eine Frau zu ihrer Freundin, eine billige Cabernet-Rothaarige.
»Oh neeeein, ich hab tatsächlich angefangen, Mitleid mit dem Kerl zu kriegen«, sagt die Freundin.
»Ich hab Zeug im Kühlschrank, das ist älter als dieses Mädel. Was für ein Arschloch.«
Andie steht hinter dem Mikrophon und schaut mit dunklen Wimpern auf ein Blatt Papier, das in ihrer Hand zittert wie Espenlaub. Ihre Oberlippe ist feucht, sie glänzt unter den Kamerascheinwerfern. Sie fährt sich mit dem Zeigefinger darüber, um den Schweiß abzuwischen. »Ähm. Ich möchte folgende Erklärung abgeben: Ich hatte eine Affäre mit Nick Dunne, von April 2011 bis diesen Juli, als seine Frau Amy verschwunden ist. Nick war mein Lehrer am North Carthage Junior College, und wir haben uns angefreundet. Dann ist mehr daraus geworden.«
Andie hält inne und räuspert sich. Eine dunkelhaarige Frau hinter ihr, nicht viel älter als ich, reicht ihr ein Glas Wasser, das sie in raschen Zügen austrinkt. Das Glas zittert in ihrer Hand.
»Ich schäme mich sehr, dass ich mich mit einem verheirateten Mann eingelassen habe. Es verstößt absolut gegen meine Wertvorstellungen. Ich habe ehrlich geglaubt, ich wäre« – sie beginnt zu weinen, ihre Stimme bebt – »in Nick Dunne verliebt und er in mich. Er hat mir gesagt, dass die Beziehung mit seiner Frau vorbei wäre und sie sich bald scheiden lassen würden. Ich wusste nicht, dass Amy Dunne schwanger war. Ich kooperiere mit der Polizei bei den Ermittlungen im Fall von Amy Dunnes Verschwinden, und ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um zu helfen.«
Ihre Stimme ist leise, kindlich. Sie blickt zu der Wand aus Kameras vor ihr empor, sieht schockiert aus, schaut wieder nach unten. Auf ihren runden Wangen erscheinen zwei rote Apfelflecken.
»Ich … ich …« Sie fängt an zu schluchzen, und ihre Mutter – die Frau muss ihre Mutter sein, sie haben die gleichen riesigen Anime-Augen – legt ihr den Arm um die Schultern. Andie liest weiter. »Es tut mir sehr leid, und ich schäme mich für das, was ich getan habe. Und ich möchte mich bei Amys Familie entschuldigen, wenn ich ihren Schmerz noch vergrößert habe. Ich kooperiere mit der Polizei bei den Ermi– Oh, das hab ich ja schon gesagt.«
Sie lächelt ein schwaches, verlegenes Lächeln, und das Pressecorps lacht leise und aufmunternd.
»Armes kleines Ding«, sagt die Rothaarige.
Sie ist eine kleine Schlampe, sie verdient kein Mitleid . Ich kann nicht glauben, dass Andie jemandem leidtut. Ich weigere mich, das zu glauben.
»Ich bin dreiundzwanzig und Studentin«, fährt sie fort. »Ich bitte nur darum, in Ruhe gelassen zu werden und mich in dieser schmerzhaften Zeit von dem Schock erholen zu können.«
»Viel Glück«, murmle ich, während Andie sich zurückzieht, ein Polizist weitere Fragen ablehnt und mit ihr das Bild verlässt. Ich ertappe mich dabei, wie ich mich nach links lehne, als könnte ich ihnen folgen.
»Das arme Lämmchen«, sagt die ältere Frau. »Sie war ja völlig verschreckt.«
»Vermutlich hat er es doch getan.«
»Über ein Jahr war er mit ihr zusammen.«
»So ein Ekelpaket.«
Desi stupst mich an und reißt die Augen auf, als wollte er fragen, ob ich von der Affäre gewusst habe. Alles okay? Mein Gesicht ist eine Maske der Wut – armes Lämmchen, dass ich nicht lache –, aber ich kann so tun, als wäre sein Betrug schuld daran. Ich nicke, lächle schwach. Ich bin okay. Wieder wenden wir uns zum Gehen, da sehe ich meine Eltern, Hand in Hand, die zu zweit ans Mikrophon treten. Meine Mutter sieht aus, als hätte sie sich die Haare schneiden lassen. Ich überlege, ob ich mich ärgern sollte, dass sie beim Friseur war, wo doch ihre Tochter verschwunden ist. Wenn jemand nach einem Todesfall sein Leben weiterlebt, hört man die Leute immer sagen Soundso hätte das so gewollt . Aber ich will das nicht.
Dann beginnt meine Mutter zu sprechen: »Unsere Erklärung ist kurz, und wir werden danach keine Fragen beantworten. Zuerst möchten wir uns bedanken für den Zuspruch, den unsere Familie von so vielen Seiten erfahren hat. Anscheinend liebt die Welt unsere Amy ebenso sehr wie wir. Amy, wir vermissen deine warme Stimme und deinen Humor, deine schnelle Auffassungsgabe und dein gutes Herz. Du bist wahrhaft wunderbar, unsere Amazing Amy. Wir werden dafür sorgen, dass du bald wieder bei deiner Familie bist, ganz bestimmt. Zweitens möchten wir betonen, dass wir bis
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