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Gone Girl - Das perfekte Opfer: Roman (German Edition)

Gone Girl - Das perfekte Opfer: Roman (German Edition)

Titel: Gone Girl - Das perfekte Opfer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Flynn
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gut.« Selbst als er mit gut sechzig immer mehr in die Demenz abrutschte, blieb er stur distanziert. Wenn man immer früh dran ist, kommt man nie zu spät . So lautete das Mantra meines Vaters, und es schloss den Ausbruch von Alzheimer mit ein. Ein langsamer Abstieg bis zu einem plötzlichen steilen Absturz, der uns zwang, unseren unabhängigen, menschenverachtenden Vater in ein riesiges Heim zu geben, in dem es nach Hühnerbrühe und Pisse stank, und wo er die ganze Zeit von Frauen umgeben war, die ihm halfen. Ha.
    Mein Dad hatte Fehler. Das sagte uns unsere gutherzige Mutter immer wieder. Er hatte seine Fehler, aber er hat es nie böse gemeint. Es war nett von ihr, das zu sagen, aber er hat uns trotzdem geschadet. Ich bezweifle, dass meine Schwester je heiraten wird: Wenn sie traurig ist oder durcheinander oder wütend, dann muss sie alleine sein – sie hat Angst, ein Mann würde ihre Tränen, die Tränen einer Frau, verachten. Ich bin genauso schlimm. Was gut ist in mir, habe ich von meiner Mom. Ich kann Witze machen, ich kann lachen, ich kann andere auf den Arm nehmen, ich kann feiern und unterstützen und loben – man könnte sagen, im Sonnenlicht funktioniere ich –, aber mit wütenden oder weinenden Frauen komme ich überhaupt nicht zurecht. Dann fühle ich die Wut meines Vaters auf hässlichste Weise in mir hochsteigen. Davon kann Amy ein Lied singen. Wenn sie da wäre, würde sie es euch garantiert gern erzählen.
    Ich beobachtete Rand und Marybeth einen Moment, bevor sie mich entdeckten. Wie wütend würden sie wohl auf mich sein? Für sie war es unverzeihlich, dass ich sie so lange nicht angerufen hatte. Wegen meiner Feigheit würden meine Schwiegereltern nun für immer diesen Tennisabend im Kopf haben: den warmen Abend, die trägen gelben Bälle, die über den Platz hüpften, das Quietschen der Tennisschuhe – sie hatten ihren üblichen Donnerstagabend verbracht und nichts davon gewusst, dass ihre Tochter verschwunden war.
    »Nick«, sagte Rand Elliott, als er mich bemerkte. Mit drei langen Schritten war er bei mir, und während ich mich innerlich auf einen Faustschlag gefasst machte, schloss er mich in die Arme und drückte mich heftig an sich.
    »Wie geht es dir?«, flüsterte er an meinem Hals und begann, sich hin und her zu wiegen. Schließlich gab er einen seltsam schrillen Laut von sich, ein verschlucktes Schluchzen, und packte mich an den Armen. »Wir werden Amy finden, Nick. Ganz sicher. Glaub daran, ja?« Er fixierte mich ein paar Sekunden mit seinem blauen Blick, dann machte er wieder schlapp – drei mädchenhafte Schluchzer schüttelten ihn, als hätte er Schluckauf –, doch nun drängte sich auch Marybeth in die Umklammerung und vergrub ihr Gesicht in der Achselhöhle ihres Mannes.
    Als die beiden mich endlich losließen, blickte Marybeth mit riesigen bestürzten Augen zu mir auf. »Es ist, es ist ein – ein verdammter Albtraum«, sagte sie. »Wie geht es dir, Nick?«
    Für Marybeth war Wie geht es dir? keine Höflichkeitsfloskel, sondern eine existentielle Frage. Sie studierte mein Gesicht, und nicht nur das, ich war sicher, dass sie mich studierte und jeden meiner Gedanken und alles, was ich tat, aufmerksam registrierte. Die Elliotts glaubten fest daran, dass jede Eigenschaft eines Menschen wahrgenommen, beurteilt und kategorisiert werden sollte. Alles ist bedeutsam, alles kann verwendet werden. Mom, Dad, Tochter – drei hochbegabte Menschen mit drei Universitätsdiplomen in Psychologie –, schon vor neun Uhr morgens hatten sie mehr gedacht als die meisten Leute in einem ganzen Monat. Ich weiß noch, wie ich einmal beim Abendessen keinen Kirschkuchen zum Dessert wollte. Rand legte den Kopf schief und sagte: »Ahh. Ein Bilderstürmer. Verabscheut den oberflächlichen, symbolischen Patriotismus.« Und als ich versuchte, die Sache mit einem Lachen abzutun, legte Marybeth die Hand auf Rands Arm: »Nein, nein, das hat nichts mit uramerikanischem Cherry Pie an sich zu tun, es ist wegen der Scheidung seiner Eltern. All das Trostessen, die Nachspeisen, die im Familienkreis gemeinsam verzehrt werden, das weckt bei Nick einfach schlechte Erinnerungen.«
    Es war albern, aber unglaublich süß, diese Menschen, die so viel Energie darauf verwendeten, mich zu kapieren. Die Antwort war: Ich mag einfach keine Kirschen.

    Gegen halb zwölf war die Polizeiwache ein lärmender Höllenpfuhl. Telefone klingelten, Menschen schrien quer durch den Raum. Eine Frau, deren Namen ich nicht mitkriegte

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