GONE Lügen
war sie rot im Gesicht, fluchte und sagte schließlich: »Ich bin schnell, aber nicht einmal ich kann überall suchen.«
»Lass mich nachdenken.« Astrid machte die Augen zu. Sam war verletzt, wütend und hatte das Gefühl, nicht gebraucht zu werden. Aber das war sicher nicht der Hauptgrund für sein Verschwinden. Wo könnte er verdammt noch mal sein?
Sie hatte ihn nicht mehr gesehen, seit er losgezogen war, um sich Zil vorzuknöpfen. Was hatte ihn veranlasst wegzulaufen? Hatte er etwas getan, wofür er sich schämte?
Nein, das war es auch nicht. Er hatte den zu Tode gepeitschten Jungen gesehen.
»Das Kraftwerk«, sagte Astrid.
»Warum gerade dort?«
»Weil das der Ort ist, vor dem er sich am allermeisten fürchtet.«
Brianna schien nicht überzeugt, doch dann hellte sich ihre Miene auf. »Ja«, sagte sie, »das würde ihm ähnlich sehen.«
»Du musst ihn holen, Brianna. Er ist Petes beste Spielfigur.«
»Seine was?«
»Egal! Hol ihn her, jetzt gleich!«
»Wie?«
»Hey, du bist der Wirbelwind, oder? Mach schon!«
Brianna dachte kurz darüber nach. »Okay. Bin scho n …«
Das »weg« verlor sich im Wind.
Astrid reichte ihrem Bruder den Gameboy. Sein Blick war zu Boden gerichtet. Er nahm das Spielzeug kurz in die Hand, dann ließ er es fallen.
»Du musst weiterspielen, Petey.«
Ihr Bruder schüttelte den Kopf. »Ich hab verloren.«
»Petey, hör mir zu.« Astrid kniete sich vor ihm hin und nahm ihn in die Arme. Dann überlegte sie es sich anders und ließ ihn los. »Ich habe das Spiel gesehen. Du hast es mir gezeigt. Ich war drin. Petey, es ist echt. Das Spiel ist echt.«
Der kleine Pete starrte desinteressiert an ihr vorbei. »Petey, er will uns zerstören. Du musst spielen.«
Sie schob den Gameboy vor ihn hin. »Nerezza ist der Avatar des Gaiaphage. Du hast sie real gemacht. Du hast ihr einen Körper gegeben. Nur du hast die Kraft dazu. Er benutzt dich, Petey, er benutzt dich, um zu töten.«
Falls der kleine Pete sie verstand, ihre Worte ihn erschreckten, ließ er sich nichts anmerken.
Ganz Perdido Beach war auf der Flucht.
Zil freute sich tierisch. Endlich herrschte das Chaos, das er sich durch den Brand erhofft hatte.
Am Strand stolperten Kids durch den Sand. Manche fielen hin, andere rannten laut schreiend ins Wasser.
Sie flohen vor Drake. Der Freak war am Leben und trieb sie mit seiner knallenden Peitsche vor sich her, als jagte er eine Herde Rinder ins Meer.
Die meisten Kinder drängten sich jedoch auf der parallel zum Strand verlaufenden Straße. Zil rannte mit Turk und ein paar anderen aus seiner Crew neben ihnen her und sah sich nach Freaks um. Er erblickte einen Jungen, der hell leuchten konnte. Das war zwar eine harmlose Fähigkeit, aber sie machte ihn dennoch zum Feind.
Turk hob seine Schrotflinte, zielte auf den Jungen und drückte ab. Der Schuss verfehlte ihn, versetzte ihn aber in Panik und er fiel der Länge nach hin. Zil trat ihn in die Seite und rannte weiter. Er schrie vor Schadenfreude.
»Lauft, ihr Freaks! Lauft!«
Nerezza hatte dieses Chaos vorhergesagt. War sie womöglich auch ein Freak? Sie umbringen zu müssen, wäre jammerschade. Er fand sie rätselhaft und sehr viel attraktiver als die langweilige, farblose Lisa.
Weiter vorne erspähte er Lance. Der gute alte Lance, jedoch ohne Waffe und ohne Schläger.
»Ich brauch eine Waffe!«, rief Lance.
Turk hatte einen mit Nägeln gespickten Knüppel. Er warf ihn Lance zu. Sie rannten wieder lo s – wie ein Rudel Wölfe, das eine panische Schafherde in den Abgrund hetzte.
Die älteren Kids gewannen an Vorsprung und setzten sich von den Kleineren ab, die ihr Tempo verlangsamten oder völlig außer Atem stehen geblieben waren.
Sie waren inzwischen auf der Straße zum Clifftop angekommen, die steil und kurvenreich bergan stieg.
»Da!« Zil zeigte auf einen Jungen. »Der da! Er hält zu den Freaks!«
Lance erreichte den Jungen als Erster und holte mit dem Knüppel aus. Der Junge duckte sich, flog rückwärtsstolpernd über die Leitplanke und purzelte den Hang hinunter, bis er gegen einen Kaktus krachte und liegen blieb.
Zil lachte. »Turk, der gehört dir!«
Er lief weiter. Lance war vor ihm, gebärdete sich wie ein blonder Kriegsgott und prügelte wahllos auf jeden ein, egal ob Freak oder nicht. Mochten sie ruhig alle sterben, alle, die ihm ihre Gefolgschaft verweigert hatten.
»Lauft!«, schrie Zil. »Lauft, ihr Feiglinge! Schließt euch mir an oder rennt um euer Leben!«
Er musste eine Pause einlegen, das
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