GONE Lügen
Geländer und zog und wälzte sich an Bord, was zwar nicht elegant aussah, ihm aber glückte. Einen Moment lang blieb er keuchend auf dem Holzdeck liegen.
»Siehst du was?«, rief Virtue von unten.
»Ich hab gesehen, wie mein Leben an mir vorbeiras t – zählt das auch?«
Er umklammerte die Reling, beugte sich vor und blickte in Virtues ängstliches Gesicht. »Ahoi, kleiner Seemann!«, rief er.
»Sieh dich erst mal um«, erwiderte Virtue.
»Das heißt: ›Sieh dich erst mal um, Captain. ‹«
Sanjit schlenderte mit gespielter Lässigkeit zur erstbesten Tür.
Wie am ersten Tag packte ihn auch jetzt wieder dieses unheimliche Gefühl, Räume zu betreten, die ihn nichts angingen.
Stille bis auf das Knirschen des Schiffskörpers.
Ein gespenstisches Geisterschiff. Ein bisschen wie die Black Pearl, nur mit eindeutig mehr Chic. Teure Kristallgläser. Kleine Statuen in Nischen. Gerahmte Filmplakate. Fotos von Todd und Jennifer mit einem berühmten alten Schauspieler.
»Hallo!«, rief er in die Stille hinein und kam sich wie ein Idiot vor.
Er kehrte zum Bug zurück. »Keiner zu Hause, Choo.«
»Was hast du denn gedacht?«, rief Virtue. »Dass sie da sind, Karten spielen und sich mit Chips vollstopfen? Es sind Monate vergangen.«
Sanjit holte die Leiter und hängte sie über die Reling. »Komm an Bord.«
Virtue kletterte vorsichtig nach oben. Als sein Bruder mit ihm auf dem Deck stand, fühlte sich Sanjit sofort besser. Von der Klippe blickte Peace zu ihnen herunter. Er signalisierte ihr, dass alles in Ordnung war.
»Ich nehme an, du hast nirgends eine Anleitung für den Hubschrauber gesehen?«
»Du meinst, so eine Art Helikopter fliegen für Dummies ?«, scherzte Sanjit. »Leider nein.«
»Dann sollten wir uns auf die Suche machen.«
»Ja, so ein Handbuch wäre echt hilfreich«, erwiderte Sanjit, dem nach einem weiteren Blick auf Peace plötzlich ganz mulmig wurde. »Unter uns gesagt, Choo, die Vorstellung, dass ich uns mit dem Hubschrauber von hier wegbringen muss, macht mir eine Scheißangst.«
Kurz nach fünf verließen sechs Ruderboote den Hafen. In jedem Boot saßen drei Kids. Zwei, die ruderten, und einer am Steuer. Die Ruderblätter sandten phosphoreszierende Glitzerfäden über die Wasseroberfläche.
Quinns Flotte. Quinns Armada.
Bis vor Kurzem waren sie noch mit Motorbooten rausgefahren, hatten die Angelleinen ausgeworfen und waren ihre Netze abgefahren. Aber wie alles in der FAYZ war auch das Benzin knapp geworden. Im Hafen lagerten zwar noch mehrere Hundert Liter, doch die bewahrten sie für Notfälle auf.
Seither hieß es den Rücken krumm machen und rudern. Ihr Arbeitstag begann lange vor dem Morgengrauen. Allein die Vorbereitungen dauerten eine gute Stunde. Sie mussten die am Vortag getrockneten Netze, die Köder, die Haken und Leinen aufladen, die Stangen und die Boote bereit machen, dafür sorgen, dass ihre Essensration und genug Wasser und die Schwimmwesten an Bord waren. Danach benötigten sie noch einmal eine Stunde, um weit genug hinauszurudern.
Sechs Boote, drei mit Stangen und Angelleinen und drei mit Schleppnetzen. Sie wechselten sich ab, da die Netze bei allen gleich verhasst waren. Die Leute in den Netzbooten mussten noch mehr rudern und die Schleppnetze langsam durch das Wasser ziehen. Danach mussten sie sie an Bord hieven und die Fische und Krabben und allen möglichen Müll aus den Schnüren klauben. Die reinste Knochenarbeit.
Am Nachmittag fuhr eine zweite Schicht raus, um die blauen Wasserfledermäuse aus dem Meer zu fischen. Die mutierten Fledermäuse hausten in der Nacht in Höhlen und kamen bei Tageslicht heraus, um im Meer zu jagen. Sie fingen sie, um sie an die Killerwürmer in den Gemüsefeldern zu verfüttern. Die Fledermäuse waren ihr Tribut an die Würmer. Perdido Beach war also in zweifacher Hinsicht von Quinns Arbeit abhängig.
An diesem Tag saß Quinn mit Big Goof und Katrina in einem der Netzboote. Sie hatten Glück und holten einen guten Fang ein: die üblichen kleineren Fische, dazu aber auch ein richtig großes Exemplar.
»Ich hab schon geglaubt, das Netz hat sich verheddert.« Big Goof betrachtete zufrieden den fast eineinhalb Meter langen Fisch. »Ich würde sagen, das ist der größte Fisch, den wir je gefangen haben.«
»Könnte ein Thunfisch sein«, meinte Katrina.
Keiner von ihnen war ein Experte. Meistens wussten sie nicht viel mehr, als dass ein Fisch genießbar war und ob er viele Gräten hatte oder nicht. Dieser Fisch, der in den letzten
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