GONE Lügen
Zigarette zu den Gräbern. »Die Kids erzählen, sie hätten sie gesehen. Sie sei in der Stadt rumgelaufen.«
»Brittney?«
»Es geht sogar noch verrückter«, fügte Lana hinzu.
Mary spürte, wie ihr ein eiskalter Schauer über den Rücken lief.
»Lana, was weißt du?«
»Ich? Was soll ich schon wissen? Ich hab keinen Bruder, der im Rat sitzt.«
»John?«, fragte Mary erstaunt. »Wovon redest du?«
Aus dem Keller drang lautes Stöhnen. Lana zuckte nicht einmal mit der Wimper. Aber sie bemerkte Marys besorgten Gesichtsausdruck. »Der wird wieder.«
»Worauf willst du hinaus, Lana?«
»Mir hat ein Junge erzählt, worum Astrid ihn gebeten hat: Er soll das Gerücht verbreiten, dass Orsay nicht ganz dicht ist. Und dann, ein paar Stunden später, sagt ihm Howard, er soll überall rumerzählen, dass alle, die was Verrücktes sehen, auch nicht ganz dicht sind. Also will der Junge von Howard wissen, was er mit ›verrückt‹ meint, weil in der FAYZ ja so ziemlich alles verrückt ist.«
War das ein Witz? Sollte Mary etwa darüber lachen? Sie konnte es nicht. Ihr Herz raste und sie hatte fürchterliche Kopfschmerzen.
»Und rate mal, was Sam vor ein paar Tagen von mir wissen wollte. Er kommt ins Clifftop und fragt mich, ob der Gaiaphage tot ist. Ob er wirklich weg ist. Und weißt du was?«
»Was?«
»Er ist nicht weg. Kapierst du? Er ist nicht tot.« Lana holte tief Luft und starrte auf das getrocknete Blut an ihren Händen, als bemerkte sie es erst jetzt. Sie begann, es mit dem Daumennagel abzukratzen.
»Ich verstehe nich t …«
»Ich auch nicht. Er war bei mir. In meinem Kopf. Ich habe gespürt, wie e r … wie er mich benutzt hat.« Sie wirkte kurz verlegen, doch dann blitzte Wut aus ihren Augen. »Frag doch deinen Bruder, er steckt mit ihnen unter einer Decke. Mit Sam und Astrid und Albert. Sam will von mir wissen, ob der Gaiaphage immer noch der liebenswerte alte Scheißkerl ist, und gleichzeitig fängt der Rat an, Orsay zu dissen, damit ja niemand auf die Idee kommt, es könnte was nicht stimmen.«
»John würde mich nie anlügen«, sagte Mary, hörte aber selbst, wie lächerlich das klang.
»Ja, ja. Irgendwas läuft hier verdammt schief«, entgegnete Lana. »Und jetzt? Die halbe Stadt brennt ab, und währenddessen klaut Caine ein Boot und fährt aufs offene Meer hinaus. Wie erklärst du dir das?«
Mary seufzte. »Lana, ich bin zu müde für Ratespiele.«
Lana stand auf und schnippte ihre Kippe weg. »Denk dran: Für manche Leute ist die FAYZ gar nicht so schlecht. Hast du dich je gefragt, was geschehen würde, wenn die Wand morgen einstürzen würde? Für dich und die meisten wäre es das Beste, was passieren könnte. Aber für Sam, Astrid und Albert? Hier sind sie wer. In der alten Welt waren sie bloß irgendwelche Kids.«
Lana wartete ab und musterte Mary. Als erwartete sie eine Reaktion, einen Widerspruch, irgendetwas.
Alles, was Mary einfiel, war: »John sitzt im Rat.«
»Eben. Deshalb solltest du ihn fragen, was wirklich los ist.«
Lana holte tief Luft und wollte schon in die Hölle im Keller zurückkehren, blieb aber noch einmal stehen und wandte sich um. »Noch was: Der Junge hat mir auch gesagt, dass Brittney nicht als Einzige von den Toten auferstanden ist.«
Mary versuchte verzweifelt, sich nichts anmerken zu lassen, doch es gelang ihr nicht.
»Aha«, sagte Lana. »Du hast ihn auch gesehen.« Sie verabschiedete sich mit einem Nicken und kehrte ins Rathaus zurück.
Die Dunkelheit. Mary kannte sie nur vom Hörensagen. Lana sagte, sie hätte sie benutzt.
Sah Lana die Zusammenhänge wirklich nicht? Oder wollte sie sie nicht sehen? Für Mary war die Sache eindeutig: Der Gaiaphage hatte Lanas Kräfte benutzt, um Brittney und Drake wieder zum Leben zu erwecken.
Dreiunddreissig
9 Stunden, 17 Minuten
Astrid hatte die ganze Nacht auf Sam gewartet.
Und den ganzen Morgen.
Von ihrem Rathausfenster aus hatte sie zugesehen, wie die Sherman Avenue in Flammen aufging und sich das Feuer immer weiter ausbreitete. Als es schon so aussah, als würde es gleich die Plaza erreichen, war der Brand zum Stillstand gekommen.
Inzwischen war das Feuer bis auf einzelne Schwelbrände eingedämmt, es schwebte aber immer noch eine gewaltige Rauchwolke über der Stadt.
Der kleine Pete schlief in einer Ecke. Er lag eingerollt wie eine Katze unter seiner Decke auf dem Boden, neben sich den Gameboy.
Astrid hing alles so zum Hals raus. Sie war wütend auf Sam, wütend auf ihren Bruder, wütend auf ihre gesamte
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