GONE Verloren
mein Vater nach Coates geschickt hat?«
Jack schüttelte den Kopf.
»Als ich zehn Jahre alt war, kam ich dahinter, dass er eine Mätresse hatte. Weißt du, was eine Mätresse ist?«
Jack nickte.
»Ich lief zu meiner Mutter und erzählte ihr alles. Ich war wütend auf meinen Vater, weil er mir kein Pferd kaufen wollte. Meine Mom rastete aus. Sie machte ihm eine Riesenszene. Mit viel Geschrei. Meine Mutter wollte die Scheidung.«
»Und? Sind sie geschieden?«
»Nein. Dazu kam es nicht. Am nächsten Tag rutschte meine Mom auf der großen Treppe in unserem Haus aus und stürzte hinunter. Sie ist nicht gestorben, kann seither aber nichts mehr selbst tun.« Sie imitierte eine Person, die kaum ihren Kopf hochhalten konnte. »Sie wird rund um die Uhr betreut und kann das Bett nicht verlassen.«
»Weil deine Mutter einen Unfall hatte, bist du doch noch lange nicht böse«, wandte Jack ein.
Diana zwinkerte ihm zu. »Ich habe der Polizei erzählt, dass mein Dad schuld sei. Ich hätte gesehen, wie er sie gestoßen hat. Sie haben ihn verhaftet, die Geschichte war in allen Medien und hat seine Firma ruiniert. Den Bullen wurde irgendwann klar, dass ich log. Dad schickte mich auf die Coates Academy. Ende der Geschichte.«
»Schätze, das ist schlimmer als das, wofür sie mich nach Coates geschickt haben«, gab Jack zu.
»Und das ist nur ein Teil der Geschichte. Was ich sagen will: Du machst keinen bösen Eindruck auf mich. Und meine Menschenkenntnis sagt mir, dass du dir später einmal Vorwürfe machen wirst, wenn du durchschaut hast, was hier läuft. Verstehst du? Du wirst dich schuldig fühlen.«
Er hörte auf, seine Sachen zu packen, und richtete sich auf. »Was meinst du? Was läuft denn hier?«
»Komm schon, Jack! Denk doch mal an deinen Unheil bringenden Palmtop. Und die Freak-Liste, die du für Caine führst. Du weißt genau, wozu es diese Liste gibt und was mit den Freaks geschehen wird.«
»Nein! Ich führe bloß die Liste – für dich und für Caine.«
»Aber wie wirst du dich dann fühlen?«
»Wovon sprichst du?«
»Stell dich doch nicht so an, Jack! Wie wirst du dich fühlen, wenn Caine sich die Leute auf der Liste eines Tages vornimmt?«
Jack ahnte, was sie als Nächstes sagen würde. Sie bemerkte seine Angst und grinste verächtlich.
»Welche Kraft hast du eigentlich?«
Er schüttelte nur den Kopf.
»Du hast deinen Namen nicht auf die Liste gesetzt. Warum bloß? Du weißt doch, dass Caine seinen loyalen Freaks nichts antut. Er braucht sie schließlich. Solange du absolut loyal bist, wird dir nicht passieren.« Sie war ihm jetzt so nahe, dass er ihren Atem spürte. »Du bist ein Zweier, Jack. Am Anfang warst du gar nichts. Das bedeutet, dass sich deine Kraft erst entwickelt. Es bedeutet auch, dass manche die Kraft erst später erlangen. Nicht wahr?«
Er nickte schwach.
»Was kannst du?«
Jack durchquerte mit weichen Knien den Raum. Sein Leben war ohne Vorwarnung und mit einem Schlag in Gefahr geraten. Er öffnete die Tür zu einer kleinen Kammer und holte einen Stuhl heraus. Der Stuhl war aus Eisen, funktional, schlicht, aber sehr stabil. Die Lehne, eine Eisenstange, wies in der Mitte die Quetschspuren einer Hand auf. Als wäre sie aus Lehm und nicht aus Eisen.
Er hörte, wie Diana scharf die Luft einzog.
»Ich hab mir die Zehe angehauen«, erklärte Jack. »Es hat scheußlich wehgetan. Während ich heulend auf und ab hüpfte, hielt ich mich an dem Stuhl fest.«
Diana musterte die Stange und ließ ihre Finger über die Abdrücke seines Griffs gleiten. »Soso. Du bist stärker als du aussiehst, was?«
»Du darfst Caine nichts sagen«, flehte er.
»Was meinst du, würde er tun?«
Jack war vor Angst wie gelähmt. Aber plötzlich sah er einen Ausweg. Er hatte auch einen Trumpf im Ärmel.
»Ich weiß, dass du Sam Temple gelesen hast«, warf er ihr vor. »Ich hab dich dabei beobachtet. Caine hast du gesagt, du hättest ihn nicht gelesen. Das war eine Lüge. Sam ist ein Vierer, stimmt’s? Caine würde durchdrehen, wenn er wüsste, dass es noch einen Vierer gibt.«
Diana blieb völlig ruhig. »Ja, Sam ist ein Vierer. Und Caine würde ausflippen. Aber sag mir eines: Wem wird Caine glauben, wenn deine Aussage gegen meine steht?«
Jack hatte keinen weiteren Trumpf. Nichts, womit er drohen konnte. »Lass nicht zu, dass er mir wehtut!«, wisperte er.
»Das wird er aber. Er wird dich auf die Liste setzen. Es sei denn, ich beschütze dich. Jack, bittest du mich, dich zu beschützen?«
Jack sah einen
Weitere Kostenlose Bücher