GONE Verloren
erzählen. Etwas Schlimmes.«
»Etwas Schlimmes?«
»Ja. Ich habe meinen kleinen Bruder verraten. Drake hat mich … also er zwang mich, Pete als Missgeburt zu bezeichnen.« Sie verschränkte ihre Finger so gewaltsam, dass es wehtun musste.
Sam nahm ihre Hände. »Was hat er getan?«
»Nichts. Blo ß …«
»Nun sag schon!«
»Er hat mich ein paarmal geohrfeigt. Es war nicht so schlimm, abe r …«
»Er hat was ?« Sam kam es so vor, als hätte er Säure verschluckt. »Er hat dich geschlagen?«
Astrid nickte. Sie versuchte weiterzusprechen, doch ihre Stimme versagte. Sie zeigte auf ihre Wange, auf die Stelle, die Drakes Hand mit solch einer Wucht getroffen hatte, dass ihr Kopf zur Seite geflogen war.
Sie fasste sich und versuchte es erneut: »Es war nicht so schlimm. Aber ich hatte Angst, Sam. Entsetzliche Angst.« Sie trat noch etwas näher an ihn heran, als wollte sie in die Arme genommen werden.
Doch Sam machte einen Schritt zurück. »Ich hoffe, er ist tot. Wenn nicht, bringe ich ihn um.«
»Sam.«
Seine Hände waren zu Fäusten geballt. In seinem Kopf brodelte es wie in einem überhitzten Dampfkochtopf.
»Sam«, flüsterte Astrid. »Versuch es.«
Er starrte sie begriffsstutzig an.
»Jetzt!«, schrie sie.
Sam hob die Hände, kehrte die Handflächen nach vorne und zielte auf einen Baum.
»Aaaaaaah!« Sam schrie und aus seinen Händen schossen gleißend helle Lichtsäulen.
Er ließ die Hände wieder sinken und starrte verblüfft den Baum an. Der Stamm war wie von einer Feuersäge in der Mitte durchgeschnitten. Er kippte, senkte sich zuerst noch langsam nach unten und stürzte schließlich mit einem lauten Krachen in ein Dornengebüsch.
Astrid trat hinter ihn und umschlang ihn mit den Armen. Er spürte ihre Tränen auf seinem Nacken und ihren Atem im Ohr.
»Es tut mir leid, Sam.«
»Wieso?«
»Angst lässt sich nicht herbeirufen. Wut aber schon. Wut ist nichts anderes als die nach außen gekehrte Angst. Wut ist einfach.«
»Hast du mich manipuliert?« Er löste sich aus ihrer Umarmung und drehte sich zu ihr um.
»Das mit Drake ist genau so passiert, wie ich es dir erzählt habe. Ich wollte eigentlich nicht, dass du es erfährst. Erst, als ich dich hier stehen und es versuchen sah. Du hast immer wieder gesagt, es sei die Angst, die deine Kraft auslöst. Also dachte ic h …«
»Ja.« Er hatte die Kraft gerade zum ersten Mal gezielt nutzen können. Er war aber nicht froh darüber, eher traurig. »Ich muss also gar keine Angst haben, sondern nur eine Mordswut. Ich muss jemandem wehtun wollen.«
»Es tut mir so leid, Sam. Ehrlich. Ich meine, für dich und dass es keine andere Lösung gibt. Du hast Recht, dich vor der Macht zu fürchten. Aber wir brauchen sie.«
Sam stand nur einen Schritt von ihr entfernt, in Gedanken war er jedoch weit weg. Er erinnerte sich an eine andere Zeit, die hundert Jahre zurückzuliegen schien. Dabei waren es nur acht Tage.
»Verzeih mir!«, flüsterte Astrid und schob ihre Arme unter seine, um ihn an sich zu ziehen.
Er legte das Kinn auf ihren Scheitel, blickte über sie hinweg, sah das Feuer und die Dunkelheit, vor der er sich schon immer gefürchtet hatte.
»Manchmal erwischst du die Welle, manchmal erwischt die Welle dich«, murmelte er schließlich.
»Das bist nicht du, Sam. Es ist die FAYZ.«
Neunundzwanzig
113 Stunden, 34 Minuten
Lanas Fuß verfing sich in einer Wurzel und sie fiel der Länge nach hin. Patrick sprang sofort herbei, blieb aber auf Abstand.
Nip, der Kojote, der sie bewachte und ihr persönlicher Peiniger war, schnappte nach ihr.
»Ich steh schon auf«, brummte Lana.
Ihre Hände waren aufgeschürft. Schon wieder.
Ihre Knie waren blutig. Auch das war nichts Neues.
Das Rudel ging voraus. Die Kojoten krochen durchs Salbeigestrüpp, sprangen über Gräben, hielten kurz inne, um am Eingang zu einem Erdhörnchenbau zu schnüffeln, und liefen dann weiter.
Lana konnte nicht mit ihnen mithalten. Egal wie schnell sie rannte, die Kojoten waren stets schneller als sie, und wenn sie hinter ihnen zurückblieb, trieb Nip sie an, schnappte nach ihren Fersen und biss gelegentlich zu.
Nip stand in der Rangordnung des Rudels weit unten und musste sich vor Pack Leader, dem Leittier, erst noch bewähren. Er war allerdings nicht ganz so bösartig wie einige der anderen, er schnappte nach ihr und knurrte drohend, riss aber nicht an ihrem Fleisch. Doch wenn sie das Rudel zu sehr aufhielt, weil sie als Mensch nun mal nicht so schnell und geschickt war,
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