Good Girls
Er lächelt.
»Ist was?«, sage ich.
»Nein, nichts«, sagt er immer noch breit lächelnd.
»Was denn?«, sage ich lauter.
»Du bist das Mädchen, stimmt’s?«
»Ich bin ein Mädchen, falls du das meinst«, sage ich. Dabei weiß ich genau, was er meint. Natürlich weiß ich es.
»Dieses Mädchen auf dem Foto. Ich hab’s gesehen«, sagt er. Aus dem Lächeln ist mittlerweile ein hämisches Grinsen geworden. Es sollte ein Gesetz geben, das hämisches Grinsen untersagt. Zumindest Personen unter 18 Jahren. Es müsste eine Genehmigung dafür geben. »Alle in der Schule haben das Foto gesehen«, sagt er.
»Ich weiß überhaupt nicht, wovon du redest«, sage ich. Ich zerre an meinen Haaren und er beobachtet mich. Er glaubt mir kein Wort.
»Klar«, sagt er.
Dieser Milchbubi rasiert sich noch nicht einmal. Sein Penis ist vermutlich kaum größer als ein Radiergummi. »Wovon redest du?«, sage ich. Nein, schreie ich.
»Nichts«, sagt er. Allmählich scheint es ihm richtig Spaß zu machen. Er wippt auf den Zehenspitzen. Wahrscheinlich um größer zu wirken.
»Du sagst es, nichts. Du weißt überhaupt nichts!«, stoße ich zwischen den Zähnen hervor.
Wipp, wipp, wipp. Gott sollte ihn auf der Stelle tot umfallen lassen. Oder wenigstens all seine Pickel gleichzeitig explodieren lassen. »Du musst unbedingt was gegen diese Pickel tun«, sage ich im Weggehen. »Ich hab im Fernsehen einen Werbespot von einem Mittel gesehen. Das könnte dir vielleicht helfen.«
»Vielleicht solltest du ja ins Fernsehen gehen. Oder bei einem von diesen Filmen mitmachen. Dafür kriegt man sogar Geld«, ruft er mir nach. Ich gehe schneller, aber nicht schnell genug. Als ich an der Kasse vorbeihaste, blickt mir ein grauhaariger Mann mit gerunzelter Stirn nach und ich höre Pickelwalt rufen: »Oder machst du es lieber umsonst?«
Na schön. Der Weihnachtsladen war keine gute Idee. Die Krippe auch nicht. Ich stoße die Glastür mit dem Fuß auf und stürme nach draußen. Ich weiß, ich sollte einfach nach Hause gehen. Aber ich denke, dass Heiße Liebe oder Cherry Cherry Lady ein bisschen Gesellschaft gebrauchen könnten. Und was sehe ich da?
Einen grünen Kombi auf dem Parkplatz direkt vor der Eisdiele. Einen Kombi, der dem von Lukes Mutter verdammt ähnlich sieht. Luke borgt sich den geräumigen Wagen manchmal, wenn er etwas Sperriges transportieren muss oder einen mobilen Rückzugsort braucht. In meinem Kopf tauchen Erinnerungsfetzenauf. Hände, die unter meinem T-Shirt nach dem Verschluss meines BHs tasten. Finger, die am Reißverschluss meiner Jeans zerren. Der Geruch nach Autoteppich und warmer Haut. Und dann die neueren Bilder: Wie ich auf der Party die Tür hinter mir zuschlage, als Luke noch im Zimmer ist. Mein Foto auf dem Handy. Seine versteinerte Miene, als er in der Schule an mir vorübergeht.
Ich stehe wie angewurzelt auf dem Gehweg, als ich sehe, wie die Tür der Eisdiele aufschwingt. Ich habe keine Zeit zum Nachdenken. Ich kann nicht überlegen, ob es wirklich der grüne Kombi von Lukes Mutter und ob das wirklich Luke ist, der mit seinem heißgeliebten Vanille-Schoko-Milchshake aus der Eisdiele kommt. Ich tue das Einzige, was ich tun kann: Ich tauche im Drogeriemarkt ab. An der Kasse sitzt ein Mädchen mit Stachelfrisur und liest. Sie blickt kurz auf, mustert mich von Kopf bis Fuß und vertieft sich wieder in ihre Zeitschrift. Es scheint tatsächlich noch Leute zu geben, die das berüchtigte Foto noch nicht gesehen haben. Hallelujah. Ich atme erleichtert auf und schlendere die Regale entlang, als suchte ich nach etwas Bestimmten. Ich habe die Wahl zwischen bunten Lippenstiften und glitzernden Haarspangen mit Bändern oder Federn. Außerdem Lockenwickler, Lockenstäbe, Haartrockner, Pinzetten und andere Folterinstrumente. Ich krame zwischen Nagelfeilen und Nagellack, Shampoos und Haarspülungen, Gels und Schaumfestigern. Ich schneide den Perückenköpfen eine Grimasse undfrage mich plötzlich, ob es hier versteckte Kameras gibt, die genau aufzeichnen, was ich alles nicht kaufe. Beim Regal mit den Haarfarben bewundere ich die vielen verschiedenen Farben und Farbnamen. Vampirrot. Violetter Wahnsinn. Nachtblau. Flamingo. Rauchschwarz. Aus irgendeinem Grund gefällt mir die letzte Farbe am besten. Fasziniert betrachte ich die glänzende tintenschwarze Flüssigkeit in den Flaschen. Ich nehme eine Packung in jede Hand, damit es so aussieht, als wollte ich ernsthaft etwas kaufen und nicht, als würde ich mich vor den Autos gewisser
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