Good Girls
Mädchen, die bestimmte Sachenmachen, nur um beliebt zu sein. Und dann noch all diese Geschichten im Internet.«
Ich sage nichts. Aber ich kann mir denken, worum es in der letzten Talkshow ging, die sie gesehen hat.
Mom bläst sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Genau das macht Eltern verrückt.«
»Was meinst du?«
»Das. All das. Gestern hast du noch kleine Städte aus Zahnstochern gebaut und heute …« Sie bricht ab. Im Geiste vollende ich ihren Satz: »… und heute bläst du x-beliebigen Jungs einen. In was für einer Welt leben wir eigentlich! Das liegt bestimmt an der Rapmusik! An den Videospielen! Jemand muss die Medien informieren! Wir brauchen eine Sondersendung!«
Aber das sagt sie nicht. »… und im nächsten Moment stellst du fest, dass dein Kind kein Kind mehr ist. Dass deine Tochter mit Dingen konfrontiert wird, die sie verletzen oder ihr Leben für immer verändern können. Ich spreche aus Erfahrung.« Wieder versucht sie mir zu sagen, dass Sex etwas Wundervolles ist, aber ihr Gesichtsausdruck sagt etwas anderes. Ihr Gesichtsausdruck sagt mir, dass Sex irgendwie eklig und furchterregend ist. Etwas, das man sich verdienen muss. Das medizinisch untersucht werden muss. Vielleicht ist es nur für Personen ab einem bestimmten Alter schön. Oder vielleicht ist es für jeden schön, nur nicht für die eigene Tochter.
Aber sie ist immer noch nicht fertig. »Du machst dich so verletzlich«, sagt sie. »Es geht nicht nur darum,dass man schwanger werden oder sich mit etwas anstecken kann. Ich spreche von deinem Herzen. Ich spreche von Menschen, die dir dein Herz brechen können. Es ist etwas Wundervolles und Natürliches«, sagt sie. »Aber nur mit einem Menschen, dem du vertrauen kannst.«
Woher man weiß, wem man vertrauen kann und wem nicht, das kann sie mir allerdings nicht sagen. »Tragen die vielleicht ein Neonschild um den Hals oder was?«
Sie sieht deprimiert und entmutigt aus und ich fühle mich schlecht. Sie versucht, mir zu helfen und ich lasse sie nicht. Warum kann ich es nicht zulassen?
Außerdem wissen Mom und ich sehr wohl, wie ich entstanden bin. Eine ungeplante kleine Bombe, die im letzten Studienjahr meiner Eltern hochging. Ich versuche, nicht verärgert zu klingen, als ich sage: »Glaubst du das wirklich?«
Sie ist in der Küche herumgelaufen und hat Dinge hin und hergeräumt. Die Gabel hierhin, die Butterdose dorthin, ohne wirklich irgendetwas wegzuräumen. Schließlich gibt sie es auf und setzt sich wieder an den Tisch. »Ich glaube, es ist das Beste, so lange wie möglich zu warten. Bis du jemanden findest, den du liebst.«
»Das heißt, du hast auf Dad gewartet«, sage ich.
Meine Mutter macht ein extrem unbehagliches Gesicht, als hätte sie plötzlich schreckliche Magenkrämpfe. »Es geht nicht um mich. Ich bin nur eine von vielen.«
Aha. »Du hast also nicht gewartet?«
»Was ich getan oder nicht getan habe, ist nicht der Punkt«, sagt sie. »Jeder Mensch ist anders.« Sie senkt den Blick und wischt ein paar Krümel in ihre Hand.
Jetzt, wo wir dabei sind, merke ich, dass ich all die schmutzigen Einzelheiten gar nicht wissen will. Dass ich nicht wissen will, wann und mit wem Mom mal zusammen war. Wie eklig. Und dann wird mir plötzlich klar, dass es ihr wahrscheinlich genauso geht wie mir. Dass sie denkt: Meine Tochter, Sex, wie eklig. Von wegen Hohelied der Liebe und labt mich mit Äpfeln. Schon komisch, dass sich das, was uns angeblich von Gott gegeben wurde, ungefähr so schön anfühlt wie die Vorstellung, aus einer Kloschüssel zu trinken. Zumindest fühlt es sich hinterher so an, wenn jemand ein Foto von dir gemacht und die Welt damit beglückt hat. Und wenn dich deine Mutter zum Arzt schleppt, um einen Schwangerschaftstest zu machen.
Mir fällt auf, dass sie mich nicht gefragt hat, welcher Art meine »sexuelle Aktivität« genau war. Ob ich noch Jungfrau bin oder nicht. Das will sie auch nicht wissen. Wahrscheinlich denkt sie, wenn ich das eine tun konnte, war ich wohl zu fast allem imstande.
Sie hat recht.
»Du hältst mich für eine Schlampe.«
Sie sieht mich entsetzt an. »Aber nein, natürlich nicht. Und dein Vater auch nicht. Wie kommst du denn darauf? Wir lieben dich. Und das wird auch immer so bleiben, ganz egal, was jemals geschieht.«
»Ich fühle mich aber wie eine Schlampe«, sage ich. »Vorher nicht. Aber jetzt schon.«
»Mein armer Schatz«, sagt sie und nimmt meine Hand. Sie drückt sie so fest, dass meine Knöchel weiß werden.
Über Sex
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