Good Girls
vergessen, ihn mir zu geben, und ich habe vergessen, danach zu fragen. Fünfundzwanzig Dollar für die Katz, nur weil ich den Anblick eines grünen Kombis nicht ertragen konnte.
Dad ist auch nicht glücklich. Er war bei einem Anwalt und hat sich informiert. Da man auf dem Foto keine Gesichter erkennen kann, erzählt er uns beim Abendessen, ist es schwierig, jemanden für das Versenden des Bildes rechtlich zu belangen.
»Er meinte, wir könnten höchstens mit rechtlichen Schritten drohen«, erklärt Dad. »Da es vermutlich kein Erwachsener war, können wir ihm damit ein bisschen Angst einjagen.«
»Und was bringt das?«, frage ich.
»Das kann ich dir sagen!«, sagt Dad und kaut energisch auf seinem Brokkoli herum. »Vielleicht wird es diesen Feigling davon abhalten, so was noch mal zu tun.«
»Dad, ich weiß doch nicht einmal, wer es war.«
»Hast du den Jungen gefragt?«
Am liebsten würde ich sagen: ›Welchen Jungen?‹, aber natürlich weiß ich genau, wen er meint. »Nein«, antworte ich. »Ich will nicht mit ihm reden.«
»Ich würde auch nicht mit ihm reden wollen, nach all dem, was er dir angetan hat«, knurrt Dad. »Wenn ich es mir recht überlege, ist es auch besser, wenn du nicht mit ihm redest. Ich sollte lieber mit ihm reden. Dem mache ich die Hölle heiß, das schwöre ich dir.« Eine Sekunde lang sieht er so wütend aus, dass ich fürchte, er könnte Luke finden und ihm beide Arme ausreißen. Und womöglich auch noch einige andere nicht unwesentliche Körperteile. Wenn ich ehrlich bin, gefällt mir die Vorstellung sogar ein bisschen. Aber eins steht fest: Wenn Dad mit Luke oder seinen Eltern redet, wird alles nur noch schlimmer. Und am Ende werden alle sowieso nur mir die Schuld geben.
»Dad, ich will das nicht«, sage ich. »Ich will es einfach vergessen.«
»Es vergessen?«, sagt er. Er dreht sich zu meiner Mutter um. »Elaine, kannst du sie bitte zur Vernunft bringen?« Er schnappt seinen Teller und schleudertihn ins Spülbecken. »Ich muss mir noch ein paar Kataloge ansehen.« Er stakst aus dem Zimmer.
Ich schiebe den Brokkoli auf dem Teller herum. »Dad dreht voll am Rad.«
»Wir drehen alle am Rad«, erwidert Mom. »Du isst ja gar nichts.«
»Ich mag keinen Brokkoli.«
»Du liebst Brokkoli.«
»Ich liebe die Käsesoße, die es immer dazu gibt. Brokkoli allein habe ich noch nie gern gegessen.«
»Ich mache mir Sorgen um dich.« Mom beginnt, den Tisch abzuräumen. »Ich habe meinen Frauenarzt angerufen. Er hatte noch einen Termin frei und ich –«
Wusste ich es doch! »Mom…«, flehe ich.
»Audrey«, sagt sie entschieden. »Wenn du sexuell aktiv bist, musst du zu einem Arzt gehen. Darüber gibt es keine Diskussion.«
Der Ausdruck »sexuell aktiv« lässt mich zusammenzucken. So nüchtern und vage. So unsexy. So anders als ich irgendetwas beschreiben würde, das ich jemals getan habe. »Muss ich zu einem Mann gehen?«
»Er ist ein sehr guter Arzt«, sagt sie. »Ich bin schon seit Jahren bei ihm. Aber wenn du willst, kann ich auch herausfinden, ob –«
»Schon gut«, sage ich. Die ganze Sache ist mir zu peinlich, um darüber zu streiten. »Wann ist der Termin?«
»Nächsten Freitag um vier.«
»Fährst du mich hin?«, sage ich. Ich habe plötzlich Angst, Dad könnte auf die Idee kommen, mich zu begleiten.
»Ja«, sagt sie. »Es ist dir vielleicht unangenehm, mit uns über diese Dinge zu sprechen. Aber ich möchte, dass du dem Arzt gegenüber ehrlich bist.«
Ich nicke.
»Ich meine es ernst«, sagt sie.
»Ich weiß.« Ich fühle mich jetzt schon, als wäre ich beim Arzt. Ausgebreitet unter grellem Lampenschein. Ich kann die Fragen bereits hören: »Ms Porter, sind Sie sexuell aktiv? Wann wurden Sie zum ersten Mal sexuell aktiv? Wie oft sind Sie sexuell aktiv? Wussten Sie, dass sexuelle Aktivität in grünen Kombis möglicherweise zu schmutzbraunen Haaren führen kann?«
»Kann ich dich was fragen?«, fragt Mom. Sie spricht weiter, ohne meine Antwort abzuwarten. »Hast du den Jungen gemocht?«
Einen Moment lang könnte ich platzen vor Wut. Dann ist die Wut schon wieder verflogen. »Nein. Ich hab ihn zufällig auf der Straße getroffen.«
»Audrey …«, fängt sie an.
»Ja, ich habe ihn gemocht. Natürlich habe ich ihn gemocht. Was glaubst du denn?«
»Es tut mir leid«, sagt sie. »Weißt du, man liest und sieht so viele schlimme Dinge in der Zeitung und im Fernsehen. Über das, was die Jugendlichen heutzutage so machen. Über Wetten und Spiele und Wettkämpfe. Über
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